Erd­wär­me­son­den im Dich­te­stress

Thermische Nutzung des Untergrunds

Der weitere Ausbau der Energienutzung aus dem Untergrund droht raumplanerische und geophysikalische Grenzen auszureizen. Für die oberflächennahe Geothermie sind daher eine nachhaltige Neuordnung und angepasste Nutzungskonzepte im Gespräch.

Publikationsdatum
26-02-2015
Revision
06-10-2015

Die Erdwärmenutzung wird vom eigenen Erfolg in Verlegenheit gebracht. Anstatt sich über steigende Absätze am Heizungsmarkt zu freuen, denkt man derzeit mehr über absehbare Probleme im ­Untergrund nach. Die Schlagzeilen «Wärmeklau» und «Chaos im Untergrund» tauchten im vergangenen Jahr sogar auf den Titelseiten nationaler Medien auf.1

Anlass dazu geben Studien und Analysen zur geothermischen Nutzung, in denen die ­technischen und rechtlichen Folgen des erwünschten Ausbaus abgeschätzt werden. Ein Fachbericht der Stadt Zürich2 warnt etwa davor, das Energiepotenzial im oberflächennahen Untergrund (vgl. Glossar) grundsätzlich zu überfordern oder den Einfluss benachbarter Erdwärme­sonden zu unterschätzen.

Darüber hinaus regt eine Studienarbeit an der ETH Zürich3 dringend an, die unterschiedlichen Interessen in den oberen Untergrundschichten raumplanerisch zu regulieren. Lag der Fokus beim rechtlichen Vollzug und bei der technischen Umsetzung von untiefer Geothermie bisher vor allem im Grundwasserschutz, werden inzwischen neue Aspekte wie die räumliche Koordination sowie die thermische Regeneration evaluiert. 

Fachlich anerkannt ist, dass die Zunahme der Erdwärmenutzung in städtischen Wohnvierteln und ländlichen Einfamilienhausquartieren einen dichten Sondenwald hervorbringen wird. In den Folgeabschätzungen wird jedoch hinterfragt, ob das bisherige «First come, first serve»-Prinzip weiterhin genügt oder ob eine geordnetere Vollzugsvariante zu suchen ist.

Ausserdem wird empfohlen, konzeptionelle Änderungen an der bisherigen Energiegewinnungsmethode vorzunehmen: Anstatt dem Boden nur Wärme zu entziehen, was ihn langfristig auskühlen würde, ist eine «energetische Bewirtschaftung» des Untergrunds vonnöten. Mit Speicherung oder Regeneration (vgl. Glossar) ist die übers Jahr bezogene Wärme zumindest teilweise, via Erdwärmesonden, ins Erdreich zurückzuführen. 

Die wissenschaftlichen Grundlagen haben zwar nicht geändert: Die geothermisch nutzbare Energie ist hauptsächlich über Jahrzehnte gespeicherte Sonnenenergie. Der Energienachfluss im Untergrund ist jedoch im Kriechgang unterwegs. Der drohende Dichtestress wird deshalb nicht durch den insgesamt gespeicherten Wärmeinhalt provoziert, sondern durch die beschränkte Leitfähigkeit des Untergrunds.

Sondenfeld mit knappen Abständen

Eine weitere Gefahr stellt der mögliche «Wärmeklau» dar. Aktuelle Potenzialabschätzungen erhoffen sich vom Untergrund über 20 % der thermischen Energieversorgung im Gebäudebereich. Gemäss einer Prognose des Kantons Zürich4 wären bis 2050 zehnmal mehr Erd­wärmesondenanlagen als 2012 erforderlich. In der Stadt Zürich würde der Untergrund zu einem einzigen grossen Erdsondenfeld: Sind aktuell 1200 Erdwärmeanlagen mit 5000 Einzelsonden erstellt (Abb.), sollen in den nächsten 35 Jahren 45'000 neue Erdwärmesonden zusätzlich dazukommen.5

Die mittlere Rasterdistanz wird sich auf rund 30 m verkürzen. Bereits ab einem Abstand unter 75 m können sich Sonden aber gegenseitig thermisch beeinträchtigen (Abb.), zeigen Erfah­rungswerte und Berechnungen des Amts für Hochbauten der Stadt Zürich und der Baudirektion des Kantons ­Zürich.1, 6 Der Worst Case wäre die lokale Abkühlung des Erdreichs: Sinken die Temperaturen um eine Erdsonde herum bis auf Frostniveau, verschlechtert sich zugleich der Wirkungsgrad von erdgekoppelten Wärme­pumpen­anlagen (vgl. «Nutzungsgrenzen im Untergrund»). 

Obwohl die SIA-Norm 384/6 «Erdwärmesonden» den Abstand thematisiert, ist in Fachkreisen unbestritten, dass nachbarschaftliche Probleme mittel- oder langfristig auftauchen. Ob feinere Regeln den Ausbau der Geothermienutzung steuern sollen, wollen die Behörden von Bund, einzelnen Kantonen und der Stadt Zürich gemeinsam mit Vertretern des SIA sowie von Organisationen aus dem Erdwärmebereich überprüfen. 

Regeneration als selbst auferlegte Pflicht

Die Stadt Zürich selbst setzt ihre Erkenntnisse bereits in der Alltagsarbeit um: Die Richtlinie zur Systemwahl der Energieversorgung bei städtischen Bauten verlangt neu, dass die untiefe Geothermie mit Regenerationsmassnahmen kombiniert wird und Voraussetzungen für eine periodische, externe Wärmezufuhr zu schaffen sind. Zudem ist jeweils auf benachbarte Erdwärme­anlagen zu achten.

Technisch ist die Regeneration längst erprobt. Dieses Bewirtschaftungsprinzip befolgen etwa die realisierten Erdwärmesonden-Grossprojekte (vgl. Glossar); sie laden ihre Untergrundspeicher saisonal ­wieder auf. Ausserdem hat die Stadt Zürich selbst zwei Erdwärmeanlagen mit Regenerationsfunktion und ­begleitendem Messprogramm in Betrieb genommen. 

Wie tief gehen Eigentumsrechte 

Neuland ist dagegen, dass die zunehmende Dichte in der Erdwärmenutzung auch rechtlich koordiniert werden soll. Ein Grund dafür sind offene Verantwortlichkeitsfragen: Wer haftet, wenn sich zwei benachbarte Erdsondenanlagen mittelfristig schaden? Sind sogar Kantone und Gemeinden mitschuldig, falls Bewilligungspraxis und finanzielle Förderentscheide die gegenseitige Beeinträchtigung von Erdwärmesonden zu wenig oder gar nicht berücksichtigt haben 

Tatsächlich ist «Untergrund» ein wichtiges Traktandum in der politischen Debatte zur Raumplanung: Der Bund be­absichtigt, die laufende Gesetzesrevision in die Tiefe zu erweitern. Gleichzeitig arbeiten die Nordostschweizer Kantone Thurgau, St. Gallen und Zürich an einem Entwurf für ein kantonales Untergrundgesetz.

Doch überraschenderweise sparen die bisherigen Vernehmlassungsideen die untiefe Geothermie aus. Zusätzlich regulieren will man den Untergrund erst ab 400 m Tiefe; darüber soll wie bis anhin das Umweltrecht für geordnete Verhältnisse sorgen. Eine Ausnahme macht der Kanton Aargau: Er hat bisher als einziger ein Untergrundgesetz in Kraft gesetzt und verlangt eine zusätzliche Bewilligung für den Bau von Erdwärmesonden ab einer Tiefe von 200 m. 

Trotzdem besteht auch in den obersten Schichten Koordinationsbedarf: Zum einen bemängelten Geologen und Juristen an der letztjährigen Tagung der Vereinigung für Umweltrecht, dass die wachsenden Erdwärmeansprüche andere Interessen im Untergrund einschränken können. Und zum anderen kommen sich schon heute private Erdwärmeanlagen und öffentliche Infrastrukturvorhaben in die Quere.

Ein Beispiel lieferte der Bau der Zürcher SBB-Durchmesserlinie (vgl. E-Dossier «Durchmesserlinie»): Bei der Planung entdeckte die Bauherrschaft im unterirdischen Korridor für den Weinberg-Bahntunnel zwischen Zürich HB und Oerlikon zwei Erdsondenanlagen. Die Bohrstandorte lagen nicht unmittelbar im Tunnelquerschnitt. Aber weil Bohrlöcher um über zehn Meter von der Senkrechte abweichen können, hat die SBB die privaten Erdwärmeanlagen vorsorglich ­ersetzt. Bemerkenswert ist: Der Kanton Aargau und der Branchenverband Fachvereinigung Wärmepumpen Schweiz haben eine Testphase vereinbart, wonach die Abweichung der Bohrprofile bei neuen Projekten genau auszumessen ist.

Ohne übergeordnete raumplanerische Koordination verursachen die unterschiedlichen Zeitperspektiven jedoch grundsätzlichere Konflikte im Untergrund: Die private Erdwärmenutzung ist auf eine Nutzungsfrist von 50 Jahren ausgelegt. Demgegenüber legt sich eine Richtplanung mit öffentlichem Interesse nur jeweils auf 15 bis 20 Jahre fest.

Braucht es spezielle Infra­struktur-Freihaltezonen oder befristete Bewilligungen für Erdsonden? Die nachhaltige Erdwärmenutzung ist inklusive dem weiteren Ausbau erwünscht. Inwiefern nun die Nutzungsvorschriften, das Normenwerk sowie die Sorgfalt bei der Planung daran anzupassen sind, ist Gegenstand laufender rechtlicher und energietechnischer Debatten. 

Anmerkungen
1 Berichte NZZ «Forschung und Technik» (9. Juli 2014) und Nachrichtenmagazin «Rendez-Vous» am Schweizer Radio (21. Juli 2014). 
2 Amt für Hochbauten der Stadt Zürich, Erdsondenpotenzial in der Stadt Zürich, Schlussbericht 2014.
3 Felix Schmid, Räumliche und rechtliche Herausforderungen beim dichten Einsatz von Erdwärmesonden, DAS Raumplanung ETH Zürich 2014. 
4 Baudirektion des Kantons Zürich, Energieerzeugung im Kanton Zürich; Ausbaupfad und saisonales Angebot an erneuerbarer Energie sowie die Energieerzeugung mit fossiler Wärmekraftkopplung 2013. 
5 Energiebeauftragter der Stadt Zürich, Konzept Energieversorgung 2050 der Stadt Zürich 2014.
6 Amt für Hochbauten Stadt Zürich und Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft Kt. Zürich, Validierung Erdsondenpotenzial, unveröffentlicht (2014).

Verwandte Beiträge