En­ga­di­ner Trou­vail­len

Ausstellung zur Oberengadiner Baugeschichte

Unbekanntes sichtbar machen – das schafft die Ausstellung «Die vergessene Moderne im Oberengadin». Sie ist noch bis zum 16. Oktober in der Fundaziun La Tuor in Samedan zu sehen. 

Publikationsdatum
08-09-2016
Revision
09-09-2016

Hotelpaläste, die Rhätische Bahn und die Bergbahnen auf die umliegenden Gipfel, das sind die Bauwerke, mit denen das Oberengadin in Verbindung ­gebracht wird – Grandezza und Ingenieurbaukunst, aber eher keine moderne Architektur. Dass das nur teilweise richtig ist, zeigt aktuell eine vom Kunsthistoriker Christof Kübler kuratierte Ausstellung in der Fundaziun La Tuor in Samedan. Es ist die zweite Auflage, zum ersten Mal war die Schau im Winter zu sehen – im Oberengadin nimmt auch die Kultur Rücksicht auf die jeweilige touristische Hochsaison. 

Schon der Ausstellungsort ist ein Bijou: Der mittelalterliche Wohnturm aus Bruchsteinen wurde 2010 von Mierta & Kurt Lazzarini Architekten aus Samedan zum Kulturzentrum umgebaut. Einbauten aus Stahl erlauben ein vertikales Raumerlebnis, die Scharten in den oberen Stockwerken bieten eine atemberaubende Sicht bis zum Berninapass. Die Ausstellung macht sich diese Ebenen zunutze. In mehrern Etappen erzählt sie ihre Geschichte, beginnend im zweiten Stock mit einer Kontextualisierung des Begriffs «Moderne» in der Architektur.

Auf den nächsten Etagen wird es dann konkret: Innerhalb von Themenbereichen wie «Wohnen und Beherbergen», «Infrastrukturbauten» und «Corporate Identity» zeigen exemplarische Fotografien und Pläne aus der Zeit um 1930 die baukünstlerische Avantgarde der Region. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Zuozer Innbrücke (Robert Maillart, 1901) von FP Boué ergänzt die Schau.

Deutlich wird: Das Ober­engadin ist kein Hotspot der modernen Architektur wie etwa ­Arosa. Oft sind nur noch Fotografien Zeugen der hiesigen Moderne – leider, muss man sagen. Die kubischen Volumen wären eine Bereicherung der heutigen Bebauung gewesen, auch wenn die von Le Corbusier formulierten fünf Merkmale der neuen Architektur im oft rauen Engadiner Klima zu hinterfragen wären. Dafür zeigt die Ausstellung ver­gessene Trouvaillen, darunter die Villa Böhler in St. Moritz von Heinrich Tessenow (1916–1918). Der Bau wurde 1989 widerrechtlich abgerissen. 

Blick nach vorn

In der Tiefe der Darstellung richtet sich die Ausstellung eher an ein ­Laienpublikum. Der wunderbare Ausstellungsort und die Entdeckungen unter den gezeigten Objekten rechtfertigten den Besuch aber durchaus auch für Fachleute. Denn vor allem bietet sie Denkanstösse: Indem sie sie zurück ins Bewusstsein bringt, kann die Schau für den respekt­vollen Umgang mit den (wenigen) Zeugen der Oberengadiner Moderne sensibilisieren.

Wie nötig das ist, zeigt das Schicksal einer der kleinen ­Skisprungschanzen in St. Moritz: Die Holzkonstruktion wurde 2014 im Zug der Arbeiten für eine neue olympische Schanze irrtümlich teilweise abgebrochen.

Ausstellung


«Die vergessene Moderne im Oberengadin» ist noch bis zum 16. Oktober in der Fundaziun La Tuor in Samedan zu sehen. 

Öffnungszeiten: Mi–So, 15–18 Uhr
Zur Ausstellung ist die gleich­namige Publikation erschienen. Sie kann vor Ort bezogen werden.

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