En­er­gie im Bau

Editorial aus archi 5/2014

Die Möglichkeit, auf fast unbegrenzte Energiereserven zuzugreifen, wird relativiert durch die Eventualität, dass unsere Erde unbewohnbar werden könnte. Da wir uns jedoch auf der Schwelle zum Weltraum befinden, wird diese Perspektive durch die wachsenden Möglichkeiten ausgeglichen, unseren Planeten zu verlassen und uns anderswo anzusiedeln. (Reyner Banham, 1960)

Publikationsdatum
21-11-2014
Revision
25-08-2015

Das Fenster hat die Funktion, Tageslicht in die Gebäudehülle zu lassen; die Heizung hat die Funktion, Wärme innerhalb der Gebäudehülle zu erzeugen und zu verteilen; Solarpaneele haben die Funktion, Solarwärme in die zum Erhitzen von Brauchwasser erforderliche Energie umzuwandeln. Das erste Element – das Fenster – ist ein grundlegender Gegenstand der Architekturplanung. Es verleiht dem äusseren Erscheinungsbild der Gebäudehülle seinen Charakter, ist Gegenstand komplexer Detailstudien und wird von anderen Bauvorhaben als Vorbild genommen. Es löst Ängste, Zufriedenheit und Enttäuschungen aus. Mit der Planung der Heizungsanlage oder der Solarpaneele werden dagegen Spezialisten beauftragt. Dann bemühen wir uns sicherzustellen, dass die Vorschläge der Experten das äussere Erscheinungsbild unserer Planung nicht beeinträchtigen, dass die technischen Einrichtungen so gut wie möglich versteckt werden und auf den Fotos für die Veröffentlichung nicht zu sehen sind.

Diese «exklusive» architektonische Kultur – die im Gegensatz zur sogenannten Technik steht – (die Terminologie weist bereits auf die konzeptuelle Unterordnung unter die Planung hin, die ausschliesslich architektonisch verstanden wird) hat Wurzeln, die weit in die Vergangenheit zuru ckreichen, bis zur Akademie der Schönen Künste, an der die ersten Architekten ausgebildet wurden, als ihr Studium von der Ausbildung der Ingenieure getrennt wurde.

Ich möchte diese lange und interessante Geschichte jetzt nicht neu aufrollen, sondern vielmehr betonen, dass diese Art des Architekten bereits seit einiger Zeit zu einem Anachronismus geworden ist, der den Herausforderungen der heutigen technischen Kultur nicht mehr gewachsen ist. Genauso unzeitgemäss und unangemessen ist der auf Anlagen und Energie spezialisierte Ingenieur, der die Rolle eines Beraters des Architekten akzeptiert und nur Hilfsfunktionen übernimmt. Er wird erst dann an der Planung beteiligt, wenn die räumlichen und morphologischen Entscheidungen bereits skizziert und beschlossen wurden.

Wie Jody Trinkler und Mirco Moser in ihrem Artikel («Le prescrizioni tecniche in ambito energetico») berichten, ist der Energieverbrauch im Tessin heute zehnmal höher als 1950, und die zum Beheizen von Wohnungen verbrauchte Energie hat einen Anteil von 30% am Gesamtverbrauch. Im selben Zeitraum sind die CO2-Emissionen im gleichen Verhältnis gestiegen. Als Architekten und Ingenieure stehen wir daher an vorderster Front und müssen u ber diese grosse Verantwortung nachdenken. Die derzeitige Energieverschwendung, die sowohl in jedem einzelnen Gebäude als auch durch die Zersiedelung entsteht, ist unvernünftig in dem Sinn, dass man sie rational nicht mehr verteidigen kann, und unerträglich, weil die gesamte Gesellschaft die dadurch erzeugten enorm hohen Kosten langfristig nicht tragen kann. Wir brauchen daher dringend eine fortschrittlichere Planungskultur, die auf der Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren gründet und die Energiefrage in den Mittelpunkt des Baus stellt; eine Planungskultur, die alternative Wohnmodelle entwickelt und deren Verbreitung fördert. Immer wieder hat archi nachdrücklich gegen die Verschwendung von Landressourcen protestiert. Es handelt sich nicht nur um eine Umweltfrage, um die irreversible Beeinträchtigung der Schönheit und des Charakters unserer Landschaft, sondern auch und insbesondere um eine Verschwendung von Energie, fu r die die zukünftigen Generationen einen hohen Preis zahlen werden. Das Bundesprogramm zum graduellen Ausstieg aus der Atomenergie erfordert eine tief greifende Wende in unseren Disziplinen und neue Kenntnisse, damit wir erneuerbare Energieträger bewusst einsetzen können. Die in archi 5/2014 veröffentlichten Projekte dokumentieren einen gewissen Fortschritt in diesem Bereich.

Vor einigen Jahren war es noch schwierig, Projekte zu finden, bei denen hohe Energieeffizienz Hand in Hand mit architektonischer Qualität ging. Wie Beat Kämpfen («Faccate high-tech per case low-tech») argumentiert, besteht ein Aspekt des derzeitigen Wandels der Wohnkultur in der Detechnisierung des Innenraums von Mehrparteienhäusern und in der Technisierung der Gebäudehülle, in der die gesamte fu r die Wohnungen erforderliche Energie erzeugt wird. Damit wird die Sonne zur wichtigsten Energiequelle. Die architektonische Kultur wird sich von vielen bisher zentralen Vorurteilen befreien und sich mit neuen Werkstoffen und Kompositionskriterien auseinandersetzen müssen. Das gilt auch fu r Siedlungsmodelle, die sich stark von denen unterscheiden müssen, die wir von den vorhergehenden Generationen geerbt haben.

Dietrich Schwarz («Che cosa è la sostenibilità») erinnert uns mit einem Heidegger-Zitat daran, dass das Bauen und das Sein (ich bin) in der nordischen Kultur die gleiche Etymologie haben (das altdeutsche Buan). Die gemeinsame Wurzel unterstreicht die gegenseitige Abhängigkeit, die grundlegende Verbindung zwischen Wohnen und dem ursprünglichen Begriff des Seins. Im Interesse unserer Existenz müssen wir unsere Landschaft pflegen und uns mit unserer Art, diese zu bewohnen, auseinandersetzen.

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