Eins, Zwei, Drei, An­za!

Die Schweizer Initiatoren von «Anza», dem ­ersten ostafrikanischen Architekturmagazin, schöpfen aus einem reichen Fundus an Bildern, Objekten und Referenzen – und sehen sich ­diesbezüglich mit komplexen gesellschaftlichen und städtebaulichen Fra­gen und Widersprüchen konfrontiert.

Publikationsdatum
23-02-2012
Revision
25-08-2015

Ob der Mann, der auf seinem Fahrrad sitzt und die Erstausgabe von «Anza» liest, sich für Städtebau interessiert? Ob er Wasser zum Duschen hatte an diesem Morgen, ist fraglich, und wie viele Stunden er selbst mit seinem Fahrrad im Verkehr stecken blieb, bis er im Stadtzentrum war, ist für die meisten Europäer nur ansatzweise vorstellbar. Er ist einer – je nach Zählweise – von drei bis vier Millionen Einwohnern der tansanischen Metropole Daressalam, einer der am schnellsten wachsenden Städte Afrikas. Das 21. Jahrhundert brachte zahlreiche Veränderungen in den urbanen Landschaften der über 50 Länder des Kontinents mit sich, und rasant ist auch die zukünftige Entwicklung: Die UNO schätzt, dass Afrikas Bevölkerung noch in diesem Jahrhundert um mehr als das Dreifache wachsen wird. In euro­päischen Fachkreisen ist ein theoretischer Diskurs um die Architektur auf dem Schwarzen Kontinent spätestens seit Rem Koolhaas' Publikation «Mutations»1 und der 2002 von dem Nigerianer Okwui Enwezor2 kuratierten Documenta11 ein Thema. Das ­Interesse erstaunt nicht, denn «man findet auf Schritt und Tritt verführerische Bilder», findet der Architekt Benedikt Boucsein, einer der Initiatoren von «Anza», dem ersten und einzigen Architekturmagazin Ostafrikas – wenn nicht sogar ganz Afrikas. «Anza» ist Suaheli und bedeutet Start – die in Daressalam verfasste und gedruckte Erstausgabe ist im Oktober 2011 erschienen, weitere Publikationen sollen folgen. Die tansanische Metropole, der sich das Heft widmet, steht exemplarisch und repräsentativ zugleich für die Millionenstädte in Afrika.

Sowohl als auch

Die Frage, was es bedeutet, für Afrika ein ­Architekturmagazin herauszugeben, beginnt schon mit der Bestimmung des Zielpublikums, das sich zwischen zwei Polen bewegt, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Tansania ist wie andere ostafrikanische Länder voller Inspirationen, und fast jede grössere Stadt ist eine Akkumulation von Bezügen und Anspielungen, in denen sich europäische, arabische, asiatische und indische ­Geschichte widerspiegelt. Dicht, spannend und manchmal geheimnisvoll wie diese Referenzen sind, können sie zu einer vorwiegend eurozentrischen, von Aussenstehenden verfassten Betrachtungsweise herangezogen werden. Die koloniale Vergangenheit und die Architektur, die während des Kalten Krieges nach den Unabhängigkeitsbestrebungen der einzelnen Länder entstand, sind längst Forschungsthemen europäischer Universitäten. Diese Realität kann und soll aber auch vom afrikanischen Standpunkt aus reflektiert und weiterentwickelt werden. Der Prozess erfordert in Tansania viel Basisarbeit; die Fähigkeiten zu einer kritischen Betrachtungsweise und lösungsorientiertem Handeln sind nur ansatzweise vorhanden. Die jungen Architekten und Architektinnen, Absolventen der ­Ardhi University in Daressalam, die «Anza» gestalteten, bedauern, dass die meisten Menschen in Tansania nicht wissen, was ein Architekt tut und wobei er ihnen behilflich sein könnte. In diesen Rahmen zwischen Professionaliät und Alltagsszenario ist die Zeitschrift eine Diskussions- und Informationsplattform für alle möglichen Themen rund um Architektur. Es gibt auch in Tansania – wie in ganz Afrika – einen wachsenden Mittelstand, der punkto Ausbildung besser situiert ist. Ausserdem lesen Tansanier viel und was immer sie erhalten können. So zieht man bei «Anza» möglichst alle Register: «Wir sind eine Architekturzeitschrift, die sich dem Erforschen von Menschen und Räumen in Bild und Schrift, Szenen und Diskussionen widmet und über das rein formal Gebaute hinaus. Wir hoffen, dadurch die sich verändernden ostafrikanischen Städte und ihre Identität besser zu verstehen.»3 «Anza» richtet sich vorerst sowohl an die breite Bevölkerung als auch an Fachleute.

Basisarbeit und Fachwissen

Die Artikel der Erstausgabe bilden ein heterogenes Konglomerat. Da sind einerseits die ­lebensnahen Statements der tansanischen Autoren, die mit Sinn für den Alltag in Afrika architektonische und städtebauliche Zusammenhänge interpretieren. «Babu speaks» lässt einen Taxifahrer zu Wort kommen. Im Artikel «Our lifeless shells» erläutert die tansanische Autorin Anitah S. Hakika sinnbildlich am Beispiel eines Neugeborenen, dass der Abschluss eines Hausbaus nicht das Ende der «Pflege» bedeutet, sondern den Anfang des Unterhalts. Daneben finden sich Beiträge von europäischen Experten zum Städtebau, etwa ­«Addis Ababa: Extracting Characters from Voids» von Dirk Hebel, dem wissenschaftlichen Direktor des Architekturinstituts in Äthiopien. Sie erfordern ein Vorwissen zum Thema und richten sich an Fachleute. Innerhalb der dringenden sozialen und städtbaulichen Probleme in Afrika ist es jedoch Zeit, dass eine Diskussion auf allen Ebenen angegangen wird, vor allem in den einzelnen Ländern selbst. Ein Zeitschrift wie «Anza», die personell mit der Schweiz verbunden ist, könnte in- und ausländischen Fachleuten auch die Rolle zukommen lassen, darüber nachzudenken, wie offen eine kritische Diskussion um Städtebau und Architektur geführt werden kann. Denn gerade in diesem Bereichen protegiert Korruption oft fragwürdige Projekte. Als Ausgangspunkt für die erste Ausgabe, die unter anderem mit der Unterstützung von Pro Helvetia, Ecoreal, der Schweizer Botschaft in Daressalam und dem deutschen Goethe-Institut entstand, wurde ein vierwöchiger, von der Schweizer Architekturzeitschrift «Camenzind» initiierter Workshop abgehalten. In dieser Zeit sollte aus einer Gruppe von Architekturstudenten und Neuabsolventen ein Team von Journalisten etabliert werden, das «Anza» in ­Zukunft herausgibt. Der Workshop beinhaltete ein Training im Verfassen von Texten, Redigieren, Fotografieren und in der Produktion sowie die Erarbeitung einer Strategie, die das Überleben der Zeitschrift garantieren soll. Die Ausgabe wurde in 5000 Exemplaren gedruckt und unter anderem kostenlos auf der Strasse verteilt. «Noch fehlt uns die Lizenz. Eine solche war nicht innert Monatsfrist zu erhalten», meint Benedikt Boucsein, der Erfahrung als Mitherausgeber von «Camenzind» mitbringt.

Improvisation erwünscht

Alles in allem ist das Projekt ein vielschichtiges Unterfangen, doch bei «Anza» scheut man sich nicht, auf Widersprüche zu treffen. Sogar die Aufmachung – eine Mischung aus Hochglanz- und Tageszeitung –, die zuerst als Notlösung aus Kos­tengründen gedacht war, kommt dieser Haltung entgegen. Ausserdem begegnet man der Unternehmung mit der angemessenen Gelassenheit: «Wir schauen auf Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft mit Schalk, Ernst und Humor.»4

Anmerkungen 

  1. Rem Koolhaas, Mutations, Harvard Project on the City, First Edition, Barcelona 2001
  2. Okwui Enwezor war von 1998 bis 2002 künstlerischer Leiter der Documenta11 in Kassel. Sie wurde als Abfolge von fünf Plattformen konzipiert, wovon die letzte die Ausstellung in Kassel war. Die Plattform 4 «Unter Belagerung: Vier afrikanische Städte, Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos» ­wurde im März 2002 in Lagos durchgeführt
  3. www.anzastart.com
  4. www.anzastart.com

Bezug von «Anza»


Das Magazin kann für Fr. 5.– erworben werden bei: Motto Zürich, Kochstrasse 1, 8004 Zürich, oder über «www.mottodistribution.com».
Weitere Informationen: www.anzastart.com, www.camenzindeastafrica.org
Der kommende «Call for Papers» befindet sich auf www.anzastart.com und www.cazmag.com 

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