Ein Gi­gant brei­tet sich aus

Der Neubau der Messe Basel polarisiert. Architektonische Ideale kollidierten mit städtebaulichen Zwängen, lokale Planungs- und Ausführungsstandards mit den Terminplänen internationaler Aussteller. Vor der wirtschaftlichen Bedeutung der Messe blieb die Arbeitskultur auf der Strecke.

Publikationsdatum
15-01-2014
Revision
13-10-2015

Im Februar 2013 erreichte die Messe Basel einen weiteren Meilenstein ihrer knapp hundertjährigen Geschichte: Mit der Eröffnung der neuen Halle 1 von Herzog & de Meuron ist erneut eine Etappe in der Entwicklung des Standorts im Zentrum von Kleinbasel abgeschlossen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts finden hier Messen statt, 1917 erstmals die Basler Mustermesse muba. Die internationale Uhren- und Schmuckmesse Baselworld, ehemals integriert in die muba, machte sich Anfang der 1970er-Jahre selbstständig. Begleitet wurde die Expansionspolitik jeweils von Hallenneubauten oder -erweiterungen, beginnend bei der ursprünglichen Halle 1 des Stadtzürcher Baumeisters Hermann Herter (1924–26) bis zur aktuellen Halle 1 von Herzog & de Meuron.

Die zunehmende Bedeutung der Baselworld und die Entstehung von konkurrenzierenden Messeplätzen, vorwiegend in Asien, machten gemäss der Betreiberfirma MCH Group einen Neubau nötig. Das börsenkotierte Unternehmen befindet sich zu 49% im Besitz der Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Zürich sowie der Stadt Zürich. Um im internationalen Wettbewerb der Aussteller für Luxusmarken mithalten zu können, galt es, mehr und vor allem hochwertigere Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen. 2004 vergab die Bauherrschaft das Projekt als Direktauftrag an Herzog & de Meuron – man wünschte sich von dem lokalen Büro mit dem globalen Anspruch «einen Bau mit Ausstrahlungskraft».

Ein liegender Riese

Die Architekten entwarfen einen 230×106m grossen dreistöckigen Riegel entlang des Riehenrings, der nordseitig an die bestehende Halle von Theo Hotz (Halle 1, 1998–1999) andockt. Der Begriff «dreistöckig» führt hier allerdings in die Irre – die Geschosse sind zwischen 8m und 10m hoch. Weichen mussten dem Neubau der historische Kopfbau der Halle (1924–1926, Hermann Herter) und die ehemalige Halle 3 («Rosentalhalle») der Architekten Suter & Suter auf dem Südteil des Areals. Im Innern entstand so im 1. Obergeschoss eine durchgehende Messehalle mit einer Länge von über 400m. Die einzelnen Ebenen sind – ähnlich wie beim SBB-Stellwerk der gleichen Architekten (1994 –1998) – leicht gegeneinander verschoben. Eine Fassade aus gewellten Aluminiumbändern umschliesst den Bau komplett und kaschiert mangels architektonischer Referenzgrössen wie Fenstern oder Geländern die Dimensionen des Volumens. Im Herbst 2008 wurde das Projekt aufgrund zu hoher Kosten überarbeitet und dabei auf 217×90×32m redimensioniert, als Totalunternehmerin kam die HSR Real Estate AG mit an Bord. 

Erschlossen wird der neue Hallenkomplex heute beim Messeplatz durch die Foyers Nord und Süd. Die beiden Obergeschosse der neuen Halle überbrücken den Platz, auf dem nach wie vor die Trams Richtung Riehen und Badischer Bahnhof verkehren. Eine zentral angeordnete kreisförmige Öffnung bringt Tageslicht in den in «City Lounge» umbenannten Platz. Die neue Halle 1 ist über Passerellen mit den Hallen 2, 3 und 4 sowie mit dem Kongresszentrum verbunden.

Das 430 Millionen Franken teure Gebäude wurde von Juni 2010 bis Februar 2013 in drei Phasen erstellt, unterbrochen jeweils durch mehrmonatige Pausen während der Messen Swissbau und Baselworld. Die kurze Bauzeit – der Bau sollte rechtzeitig zur Baselworld im April 2013 fertiggestellt sein – und der hohe Grad an Handarbeit schlugen sich in vielen Sonderlösungen und in teilweise prekären Arbeitsbedingungen nieder. 22 Monate lang arbeiteten im Dreischichtbetrieb täglich bis zu 1300 Arbeiter auf der Baustelle. Im August 2012 machte die Basler Zeitung «TagesWoche» Fälle von Lohndumping, Subunternehmerketten und nicht bezahlten Löhnen publik. Nachdem sich sowohl die Messe als auch die Regierung von Basel-Stadt als Hauptaktionärin des Unternehmens zunächst als nicht zuständig erklärten, übernahmen Bauherrschaft und Totalunternehmung im Dezember 2012 die Aussenstände. Ende April 2013 konnte die Baselworld als erste Messe im Neubau pünktlich stattfinden.

Ausstellungskiste mit Tarnkappe

Bereits zu Beginn der Planungen wurde das Projekt kontrovers beurteilt: Zum einen betraf die Kritik das Volumen des Baukörpers im ansonsten eher kleinteiligen Quartier, zum anderen die städtebauliche Setzung und den Umgang mit dem öffentlichen Raum. Auch die Direktvergabe an das Büro Herzog & de Meuron und der Verzicht auf einen Studienwettbewerb wurden bemängelt. Tatsächlich sind der Bau und seine Geschichte weit vielschichtiger, als diese knappe Auslegeordnung vermuten lässt.

In architektonischer Hinsicht kann Entwarnung gegeben werden. Vor allem die lebendig wirkende Aluminiumfassade und die Verschiebung der drei Geschosse gegeneinander lassen den Koloss erstaunlich leicht wirken, fast scheint er auf dem Glassockel des Erdgeschosses zu schweben. Sowohl Fassade als auch Tragwerk suggerieren ein Idealbild: Die vielen Einzelteile der futuristischen Fassade sind zwar am Computer geplant, aber in Handarbeit hergestellt und montiert worden. Und das Tragwerk baut eigentlich auf einem Quader auf, um den herum die formgebende Konstruktion erstellt ist.

Städtebaulich ist die Sache weniger klar: Darf ein öffentlicher Platz von einem privaten Unternehmen überbaut werden? Immerhin bildet der Messeplatz einen Knotenpunkt im öffentlichen Verkehr zwischen Grossbasel auf der linken Uferseite und Kleinbasel, der Gemeinde Riehen und dem Badischen Bahnhof auf der rechten. Zwar deutet die neue Bezeichnung «City-Lounge» – ob gelungen oder nicht – die Hoffnung an, den Platz auch ausserhalb der Messezeiten zu beleben. Auch die Architekten hegen diesen Wunsch (vgl. Kasten «Nicht einfach eine Kiste» weiter unten im Text). Tatsache ist aber, dass der Neubau die Sichtachse entlang der Clarastrasse durch eine Wand aus Aluminium unterbricht und das Gebiet in ein Basel vor und eines hinter der Messe teilt.

Eine städtebauliche Projektstudie hätte hier womöglich Klärung gebracht – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Messe nun doch den Abriss und die Neuüberbauung des muba-Parkings plant. Das Parking soll ins UG verschoben werden, oberirdisch sind Wohnungen und ein Hotel angedacht. Pikant: Im Vorfeld der Planungen für die jetzige Halle 1 stand der Abriss des Parkings inklusive eines Ersatzbaus entlang der Riehenstrasse als stadtverträgliche Alternative zum heutigen Neubau bereits zur Debatte. Damals wehrte sich die MCH Group aus Kostengründen vehement gegen dieses Ansinnen. Fünf Jahre später, nach Fertigstellung des Prestigebaus der Halle 1, beauftragte sie die drei Basler Büros Herzog & de Meuron, Buchner Bründler und Morger + Dettli mit der Testplanung. Bis zum Sommer 2013 sollten Ergebnisse vorliegen, bisher drang allerdings noch kein Entscheid an die Öffentlichkeit.

Was bringt die Messe der Stadt 

Die Entwicklung des Standorts ist noch nicht abgeschlossen. Daher stellt sich weniger die Frage nach der Qualität der Architektur als die nach dem Grund dieser Funktion an diesem Ort: Ergibt ein Messeplatz von dieser Grösse überhaupt Sinn mitten in einer Stadt 

Den Grundsatzentscheid dazu fällten die Baslerinnen und Basler bereits 1993, als sie die Verlegung der Hallen an den Flughafen ablehnten. Auch beim konkreten Projekt, das 2008 zur Abstimmung kam, stimmten rund zwei Drittel der Stimmbürger für einen Ausbau – verständlich, führt man sich die Wertschöpfung der Messe, die für das Baselbiet mit jährlich 210 Millionen Franken beziffert wird, die über 70 Millionen Franken an Steuereinnahmen für die beiden Basler Kantone und die mit der Messe verknüpften 2500 Arbeitsplätze vor Augen. 

Angesichts dieser Bedeutung sollte bei der Planung keine Salamitaktik zum Zug kommen. Stattdessen müsste eine sorgfältige Entwicklung nicht nur möglich, sondern selbstverständlich sein. Dazu kommt, dass die «Messe in der Stadt» von Stadt und Unternehmen aktiv vermarktet und als Alleinstellungsmerkmal gefördert wird. Umso mehr müsste den Beteiligten daran gelegen sein, dass das benachbarte Quartier mit seinen städtischen Qualitäten erhalten bleibt und nicht irgendwann die «Messe in einem Rest von Stadt» steht.

Die Gebäudetechnik
Der Neubau besitzt als einziges Messegebäude der Schweiz ein Minergie-Zertifikat (BS-054). Dieses zu erhalten war nicht einfach: Die Planer entwickelten eine Mischrechnung aus dem Gesamtenergiebedarf abhängig von der Nutzung (Betrieb, Ab-/Aufbau, Leerstand) und brachen diesen auf die Minergiekategorie «Verkauf» hinunter. 
Die Zusatzbeleuchtung, die die Stände nutzen, ist beispielsweise nicht eingerechnet, die Grundbeleuchtung der Messe hingegen schon. Die Komplexität der Rechnung verrät denn auch weniger über die Nachhaltigkeit des Baus als über die Starrheit des Minergie-Systems. Für eine ausführliche Darstellung der Gebäudetechnikplanung liess sich kein vollständiges Zahlenmaterial finden. Sinn oder Unsinn der Übung stand ohnehin nicht zur Debatte, da das Zertifikat eine der politischen Voraussetzungen für die Realisierung war. Auf dem begrünten Dach wurde im Dezember 2013 eine Photovoltaikanlage erstellt, der Bau erreichte die für das Minergie-Zertifikat nötigen Grenzwerte aber schon vorher. Für die Realisierung der Anlage fand die Bauherrschaft einen Investor.


Das sagt der Architekt:  «Nicht einfach eine Kiste»

«1993 gab es in Basel eine Abstimmung zur Zukunft des Messestandorts. Es bestanden Pläne, ihn an den Flughafen zu verlagern. Die Bevölkerung sprach sich dafür aus, die Messe in der Stadt zu behalten, weil sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Seit den 1990er-Jahren sind Flächen im angrenzenden Erlenmatt-Quartier entfallen, weil man dort Wohnungen realisieren wollte. Die Messe war also gezwungen, sich stärker zu konzentrieren. Darin bestand der Reiz für uns: die Messe in der Stadt weiterzuentwickeln und die Nutzung zu verdichten. Das Areal ist in Basel exemplarisch für solche Verdichtungsphänomene, sie lassen sich auch auf dem Novartis Campus oder auf dem -Roche-Areal beobachten. Die Herausforderung lag darin, den Bau sehr konzentriert zu planen. Wir haben eine neue Typologie entwickelt und die einzelnen Hallen aufeinandergestapelt und gegeneinander verschoben. Weiter in die Höhe bauen konnten wir wegen der Zonenordnung nicht, schon das jetzige Volumen ist ein Massstabssprung im Quartier. Der Vorteil dieser Dichte sind die kurzen Wege für die Besucher. 
Städtebaulich integriert sich der Bau trotz dem grossen Volumen gut, dafür sorgen die Stapelung und das Verschieben der Ausstellungsräume, die das Innere ablesbar machen. Der Bau ist nicht einfach eine grosse Kiste. Auch die City Lounge, der überdeckte Teil des Platzes, funktioniert. Wir waren positiv überrascht: Es gibt Hellraum, die Sichtbezüge stimmen. In Zukunft ist es aber wichtig, dass hier auch ausserhalb der Messezeiten Leben hinkommt, dass es mehr Stadt in der Messe gibt. 
Ende November 2013 wurde in Basel positiv über den Bau des Claraturms abgestimmt, ein weiteres Hochhaus mit Wohnungen gegenüber der Messe. Es wird eine Transformation des Gesamtareals stattfinden. Zudem ist ein Ersatz für das Parkhaus angedacht, mit mehr öffentlicher Nutzung. Auf der einen Seite passiert also eine Verdichtung, auf der anderen Seite wird das Quartier grün gehalten. Mit dem Projekt ‹stranger than paradise› von Rotzler Krebs Partner wird der bisher etwas versteckte Landhof im Südosten der Messe zum öffentlichen Park. Kritikern, die die Dimension der Messe beanstanden, muss bewusst sein, dass sich das Quartier verändert. Die geplante Verdichtung wird den Massstab des jetzigen Messebaus besser integrieren, als es heute der Fall ist.»
Stefan Marbach, Senior Partner, Herzog & de Meuron

Projektdaten


Projekt: 2004–2012
Ausführung: 2010–2013
Länge × Breite × Höhe: 217×90×23m
Anzahl Geschosse: 3
Gebäudefläche GF: 83.297m²
Gebäudegrundfläche GGF: 9328m²
Gebäudevolumen: 660.000m³
Hauptnutzfläche: 40.305m2 (48.4%)
Verkehrsfläche: 17.441m2 (20.9%)
Funktionsfläche: 12.990m2 (17.3%)
Nebennutzfläche: 4334m2 (5.8%)
Fassadenfläche: 21.000m2
Maximale Deckenlasten: 1000–1200kg/m2
U-Wert Fassade: 0.2187W/(m2K)
Gebäudelabel: Minergie (Zertifikatsnr.: BS-054)


Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
MCH Swiss Exhibition (Basel) Ltd.


Architektur
Herzog & de Meuron Architekten AG


GENERALPLANERPHASE: Sicherheitskonzept, Brandschutz
Gruner Ingenieure und Planer AG, Basel


TU-PHASE: Bestandsaufnahme (inkl. Tragwerk)
Gruner Ingenieure und Planer AG, Basel


TU-PHASE: Sicherheitskonzept, Brandschutz
Gruner Ingenieure und Planer AG, Basel


TU-PHASE: Nachhaltigkeitsberatung
Ingenieurbüro Stefan Graf

 

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