Die Qua­li­tät der Dich­te

Kolumne

Publikationsdatum
27-11-2015
Revision
27-11-2015

Genuas Altstadt ist voller stimmungsvoller Plätze, Laden­strassen mit herrschaftlichen Bauten und Terrassen, auf denen sich der Ausblick gegen das Meer öffnet. Die Gassen der Hafenstadt weisen jedoch hinter jeder Abzweigung einen anderen Charakter auf. Eben noch auf einem sonnendurchfluteten Platz, stehe ich unvermittelt in einer engen Gasse. Als ich das schmale Himmelskreuz über mir betrachte, durch das spärliches Licht aufs Pflaster fällt, überlege ich mir, ob eine Stadt zu dicht sein kann. Oder anders gefragt: Wie dicht ist noch lebensfreundlich? Die Häuser sind mit sieben oder acht Stock­werken höher als jene in Schweizer Altstädten. Eigentlich sollte es beklemmend sein, doch die Situation fasziniert mich. Die Schlucht ist ­dunkel, kühl und riecht leicht modrig.
2014 kürte eine Jury «Dichtestress» zum Unwort des Jahres für die Schweiz. Dichtestress entsteht meist dort, wo es enorm dicht ist – und das ist es hier. Aber im Vergleich zu manchen neueren Schweizer Sied­lungen wirkt die Massivität der ­Häuser hier sogar beruhigend. Wohl ist Dichte allein nicht der Punkt – ­sondern die Eintönigkeit. Dieser Ort ist Teil eines städtebaulichen Gesamtwerks, dessen Teile und Logik sich durch den Raum und auch ­respektvoll durch die Zeit verbinden.

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