Die Hoch­schu­le Lu­zern im so­la­ren Zehn­kampf

Projekt für den Solar Decathlon

Im Juni wird die Schweiz erstmals am Solar Decathlon in Versailles vertreten sein. Ein Team der Hochschule Luzern hat für den internationalen Solarhaus-Wettbewerb einen modular aufgebauten Prototypen konzipiert, der auf das Teilen und Tauschen von Raum und Ressourcen setzt.

Publikationsdatum
13-03-2014
Revision
18-10-2015

An der Swissbau wurde das von einem interdisziplinären Studententeam entwickelte Projekt kurz vor Ausführungsbeginn präsentiert. Vom 27. Juni bis 13. Juli 2014 wird es sich neben 19 weiteren Projekten von Teams aus aller Welt dem Realitätstest beim Solar Decathlon in Versailles stellen. 

Das Wettbewerbsprogramm fordert die Entwicklung und den Bau eines Gebäudeprototyps, dessen Betriebsenergiebedarf allein durch die Sonne gedeckt wird. Zu den zehn bewerteten Disziplinen gehören neben Energieeffizienz und innovativem Umgang mit – marktreifer – Solarenergietechnik auch eine hohe Wohnqualität und allgemeine Nachhaltigkeit. Erstmals ist dieses Jahr explizit die Einbettung der Beiträge in urbane Konzepte gefragt. Die Pavillons mit 70m2 Grundfläche verstehen sich demnach als Ausschnitte aus einem grösseren Ganzen und nicht etwa als Einfamilienhäuser.

Der hohe Ressourcenverbrauch in den Industrienationen ist nicht nachhaltig. Die Antwort des Schweizer Teams auf diese Erkenntnis manifestiert sich in einem starken Grundkonzept, das unter dem Titel «Your+» konsequent auf das Teilen und Tauschen von Ressourcen setzt: «Wir teilen und erhalten einen Mehrwert», so das Motto der Studierenden. Im Bereich Mobilität hat sich dieses Konzept mit dem Mobility-Carsharing längst schweizweit etabliert. Nun geht es darum, ausserdem Raum, Energie, Dienstleistungen, aber auch kulturelle Ideen zu teilen und den Menschen dabei bei mindestens gleichbleibendem Lebensstandard Wohnraum in der Stadt zur Verfügung zu stellen, der Ressourcen schont und erschwinglich ist.

Exemplarischer Kontext des Schweizer Wettbewerbsbeitrags ist deshalb ein Quartier an zentraler, gut erschlossener Lage in der Nähe des Luzerner Hauptbahnhofs. An der dortigen Industriestrasse ist ein kompakter Neubau geplant, der in der engen Verbindung mit seiner Umgebung nicht nur infrastrukturelle und soziale Synergien ermöglicht. Vielmehr teilt er mit den umliegenden Gebäuden (Sonnen-)Energie in Form von Wärme, Kälte und Strom über ein Anergienetz im Untergrund.

Vier Raumtypen

In der «Your+» Überbauung soll es grundsätzlich vier Raumtypen geben: «My room» ist für die private Nutzung reserviert und besteht aus einem Schlafraum mit Badezimmer. «Our room» ist eine gut ausgestattete Küche zur gemeinsamen Benützung im kleineren Kreis. «Your room» ist schliesslich ein Allzweckraum, der für eine grössere Personenzahl und verschiedene Aktivitäten gemietet werden kann. Verbunden sind die drei Raumtypen durch den «Space+», der zugleich Erschliessungsbereich, klimatische Pufferzone und niederschwellige Plattform für soziale Interaktionen ist und die flexible Kopplung der Räume untereinander und damit weitere Nutzungsvariationen ermöglicht.

Für den Prototyp vollständig durchgeplant wurden lediglich vier exemplarische Räume inklusive Wand- und Deckenkonstruktionen und Gebäudetechnik. Ein traditioneller Holzständerbau mit einer geschuppten, unbehandelten Holzverkleidung minimiert den Bedarf an grauer Energie. Die Dämmstärke wurde auf die Gesamtenergiebilanz über den Gebäudelebenszyklus optimiert. Mehrere geschosshohe Rahmenelemente aus Stahl überspannen die Dachflächen und tragen die Sonnenkollektoren, die zugleich als Verschattung für den «Space+» Dachgarten dienen.

Hightech-Lösungen …

Auch bei der Gebäudetechnik bemüht sich das Team der Hochschule Luzern um Effizienz und Suffizienz: Um den Energieverbrauch zu minimieren und Lastspitzen zu reduzieren, werden aktive mit passiven Energiesparmassnahmen kombiniert und durch eine intelligente Regelungstechnik aufeinander abgestimmt. Die Betriebsenergiebilanz profitiert davon, dass nur die effektiv genutzten Räume bedürfnisgerecht konditioniert werden. Das Klima im «Space+» funktioniert über passive Massnahmen: Intelligent gesteuerte Sonnenschutz- und Fensterlüftungselemente sowie Phase Change Materials gewährleisten eine optimale zeitliche Verschiebung der Temperaturspitzen zwischen Tag und Nacht. In den übrigen Räumen wird die Temperatur aktiv über eine Heiz-/Kühldecke reguliert, die an einen Wärme- bzw. Kältespeicher angeschlossen ist. Im Prototyp wird dieser direkt über die Sonnenkollektoren und eine Wärmepumpe geladen, im urbanen Gesamtkonzept ist er Teil des Anergienetzes.  

Auch bei der Wasserversorgung wird Ressourcenschonung gross geschrieben: Die Toiletten werden mit Regenwasser betrieben, die Pflanzen mit Grauwasser getränkt. Bei der Photovoltaik kommen hocheffiziente Paneele mit Ost-West-Nachführung zum Einsatz, die 20% mehr Ertrag liefern als eine rein nach Süden ausgerichtete Anlage und einen besseren Spitzenausgleich gewährleisten. Kombiniert wird die Anlage mit einer möglichst verlustarmen Speicherung des Gleichstroms diesseits der Wechselrichter – E-Bikes, Laptops und Handys können hier direkt geladen werden. Übers Jahr kommt das «Your+» Haus so auf eine Energiebilanz von komfortablen 140%.

Wichtiger, aber kontrovers diskutierter Technikbestandteil ist die umfangreiche intelligente Gebäudesteuerung: Einerseits kann eine prädiktive Regelung etwa die Heizung bei gutem Wetterbericht frühzeitig abschalten. Auf der anderen Seite stehen Bedenken der Nutzerinnen, nicht selbstbestimmt wohnen zu können. Bei «Your+» können sie sich deshalb jederzeit über den aktuellen Energieverbrauch und die vorgesehenen Sparmassnahmen informieren. Wasch- und Spülmaschinen werden zum Beispiel mittags betrieben, wenn viel Strom produziert wird – die Bewohner können dies aber übersteuern. 

… statt Low-Tech-Konzepten

Nach wie vor scheinen die Wettbewerbsanforderungen des Solar Decathlon stark auf herkömmliche Hightech-Lösungen zu fokussieren, die für Herstellung und Recycling viel Energie benötigen und ohne ausgeklügelte Regelungstechnik nicht funktionieren. Dagegen würde man von einem auf nachhaltiges Bauen ausgerichteten Wettbewerb eine klare Orientierung hin zu innovativen Lowtech-Konzepten erwarten sowie eine Diskussion des Behaglichkeitsbegriffs. Die Vorgabe von 1°C für die maximale Schwankung der Raumtemperatur über 24 Stunden mutet da eher kontraproduktiv an.

Das Team der Hochschule Luzern antwortet auf dieses Dilemma mit einem suffizienzbasierten Konzept. Die Diskrepanz zwischen der überzeugenden gesellschaftlich-städtebaulichen Idee und der dem Wettbewerbsprogramm geschuldeten effizienten, aber hochtechnischen Ausstattung merkt man dem Pavillon auch architektonisch an: Die technoid anmutende Stahlkonstruktion, die das Solardach trägt, kontrastiert stark mit dem Holzgebäude darunter, dessen Assoziation mit naturnaher «Swissness» aber durchaus beabsichtigt ist.

Insgesamt bekennt sich das Team klar zum Trend zu innovativen Wohn- und Arbeitsformen, der in der Schweiz Anfang der 1990er Jahre mit der Zürcher Genossenschaft Kraftwerk begonnen hat und unter anderem mit der im Mai 2014 bezugsbereiten Kalkbreite-Überbauung in Zürich Wiedikon eine Fortsetzung findet. In der Schweiz sind die Studierenden mit ihrer erklärten Hinwendung zur Suffizienz damit am Puls der Zeit, beim Solar Decathlon ihrer Zeit vermutlich etwas voraus. 

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