«Die grü­ne Bran­che muss vor­aus­den­ken»

Ein Gespräch über Grünraumgestaltung, Biodiversität und invasive Pflanzen

Wenn es um Neophyten geht, sind sich Naturschützer und ­Landschaftsarchitekten oft uneins. Unterschiedliche Werthaltungen und Naturbilder prägen die jeweilige Sicht. Der Dialog ist jedoch Voraussetzung, um zu neuen Lösungen zu kommen. Zwei Professoren an der Hochschule für Technik Rapperswil beschreiten diesen Weg.

Publikationsdatum
29-11-2018
Revision
04-12-2018

TEC21: Haben gebietsfremde Pflanzen – also Neo­phyten, die erst nach Europa kamen, nachdem Kolumbus Amerika erreicht hatte – auf dem Campus der Hochschule Rapperswil Platz?
Mark Krieger: Auf jeden Fall. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen sollen die Studierenden der Landschaftsarchitektur auf dem Campus die Mög­lichkeit haben, viele Pflanzen aus aller Welt ken­nenzulernen. Zum anderen kommen im Siedlungs­gebiet von Rapperswil-Jona viele gebietsfremde Arten vor. Wir möchten keine scharfe Kante hin zur Stadt, sondern eine Verzahnung. Bedingt durch die Erweiterung des Campus hatten wir die Möglichkeit, ein neues Bepflanzungskonzept zu realisieren. Die Analyse des Bestehenden ergab, dass die heimischen Baumarten eher nah am See wachsen und die nicht heimischen wie beispielsweise der Tulpenbaum eher zum Bahnhof hin. Richtung Stadt gibt es also mehr freie Gestaltung, am Wasser mit der schönen Sicht in die Berge hingegen mehr Natürlichkeit. Das ist ein einfaches Konzept, aber es funktioniert.
Christoph Küffer: Wir haben hier auf dem Campus einen spannenden Mikrokosmos. Auf kurzer Distanz wächst hier viel Verschiedenes: Es gibt den See mit einem Naturschutzgebiet, die Gartenanlagen der Hochschule, hundert Meter davon entfernt den Bahnhof mit den Gleisen und daran anschliessend die Stadt mit vielen versiegelten Flächen – eine urbane Situation par excellence. Zwischen diesen Polen exis­tiert in Miniatur, was wir im grösseren Massstab in der Schweizer Landschaft vorfinden.

TEC21: Es gibt Gestaltungspläne, die vorschreiben, nur einheimische Arten zu pflanzen. Auf dem Campus hingegen hat man einen Ausgleich angestrebt. Das klingt nach Versöhnung.
Mark Krieger: Die Forderung nach nur heimi­schen Arten in Gestaltungsplänen ist zum Teil un­sinnig. Nicht alle Neophyten sind problematisch. Ärger be­­­reitet uns nur eine kleine Gruppe von Pflanzen, die unerwünschte Wirkungen haben – nämlich die invasiven Arten. Dazu zählen etwa die Asiatischen Staudenknöteriche, Goldruten aus Nordamerika und das Einjährige Berufkraut.
Christoph Küffer: Eine Versöhnung ist nötig, weil zwi­­schen Ökologen und Naturschützern sowie den Landschaftsarchitekten und Gärtnern zu lang keine Gespräche stattgefunden haben und man nicht ­gemeinsam an guten Lösungen gearbeitet hat. In der ­Öko­logie geht es um komplexe Themen. Meine Erfahrung: Viele Grundprinzipen der Pflanzenver­wendung und Landschaftsarchitektur auf der einen Seite so­wie der Ökologie auf der anderen Seite sind sich sehr ähn­lich. Man schaut, was an einem Ort an ökolo­gisch Wertvollem vorhanden ist, berücksichtigt aber auch die Geschichte des Orts. Dabei geht es nicht nur um einheimisch und nicht einheimisch, sondern vor allem um die Frage der Standortgerechtheit.

TEC21: Was bedeutet standortgerecht konkret?
Mark Krieger: Es rächt sich, wenn Pflanzen am falschen Ort wachsen. Ein klassisches Beispiel: La­­vendel und Rosen – Rosen bevorzugen lehmige, etwas feuchte Böden, während der Lavendel es heiss, trocken und steinig mag. Die beiden Arten werden aber oft zusammen gepflanzt. Dadurch erhöht sich der Pflegeaufwand enorm, denn die Standortge­rech­t­heit ist ja nicht für beide Pflanzen gegeben. Mit der Natur zu arbeiten statt gegen sie, zahlt sich aus.
Christoph Küffer: Auf etwa der Hälfte des Campus haben wir verschiedene Lebensräume der Schweiz nach­gebildet. Viele sind standortnah, einige da­von neu geschaffen. Wir bilden Leute aus, die später die vom Menschen geschaffene Landschaft weiterentwickeln. Sie müssen dabei abwägen, wann vorhan­de­ne Natur zu schützen ist und wann sie neu gestaltet werden kann. Die Ökologen müssen auch anerkennen, dass man bei der Wahl der Pflanzen und der Ge­staltung nicht nur naturwissenschaftlich vorgehen kann; es gibt auch kulturelle, ästhetische und so­ziale Aspekte.

TEC21: Biodiversität, Neophyten, invasive Arten, die ­Pro­bleme bereiten – wie fliesst das konkret in die Ausbildung der Studierenden ein?
Mark Krieger: Wir diskutieren heute viel mehr über die Ziele in der Grünraumgestaltung. Was ist ein Park, und was soll er leisten? Was ist ein Naturraum? Was pflegen und entwickeln wir? Ökologie und Bio­diver­sität haben heute einen deutlich höheren Stellenwert als früher.
Christoph Küffer: Wir wollen verschiedene Sichtweisen zusammenführen. Bisher führten die Ökologen die Pflanzenexkursion für die Studierenden in «ungestörter» Natur in den Alpen allein durch. Nun ge­stalten wir diese Exkursionen gemeinsam mit der Professur für Pflanzenverwendung. Dabei wollen wir die Schönheit von «ursprünglicher» Natur zeigen, aber auch vermitteln, wie die Gestaltungsprinzipien der Natur in vom Menschen geschaffenen Grünräumen an­gewandt werden können. Im Fall der invasiven Arten wollen wir den Studierenden nicht einfach eine Liste mit den problematischen Arten präsentieren, sondern aufzeigen, weshalb eine Art zu einem Problem werden kann. Bei eingeführten Arten gilt es zu verstehen, dass diese aus einem anderen ökolo­gischen Zusammenhang kommen und am neuen Ort noch gar nicht in das ökologische Wechselspiel integ­riert sein können. Und es macht einen Unterschied, ob Arten durch die traditionelle Kulturnutzung über die letzten tausend Jahre von Kleinasien eingeführt wurden und den ursprünglichen europäischen Arten doch recht nah sind oder – wie viele Neophyten – erst vor wenigen Jahren die Schweiz erreichten. Die alten Kulturpflanzen wie zum Beispiel die meisten un­serer Obstbäume haben mit der Zeit wichtige ökologische Funktionen übernommen, während viele Neophyten, die zu einem grossen Teil von anderen Konti­nenten und aus völlig anderen Familien stammen, ökologisch isoliert sind.  

TEC21: Das Gespräch über gebietsfremde und invasive Arten ist oft schwierig. Warum eigentlich?
Christoph Küffer: Die Wissenschaft kann eben manchmal nicht wirklich voraussagen, welche Arten zu einem Problem werden. Risikoabschätzungen sind deshalb mit sehr hohen Unsicherheiten verbunden. Das macht frühzeitiges Handeln schwierig. Zudem spielen unterschiedliche Werthaltungen, Weltbilder, Naturvorstellungen und auch persönliche Erfahrungen eine wichtige Rolle.

TEC21: Invasionsbiologie, Problemarten, Eindringlinge, Kolonisierung – das sind starke emotionale Begriffe. Inwiefern trägt die Sprache zu den Kommunika­tionsschwierigkeiten bei?
Christoph Küffer: Benutzt wird in der Tat eine militä­rische Sprache: Es geht ums Kämpfen, um Invasionen oder sogar ums Ausrotten. Verknüpft mit dem Fokus auf das Fremde wird es rasch problematisch, das Andere wird ausgegrenzt, soll wieder weg. Zudem wird das Problem oft zu sehr vereinfacht, wenn man etwa einer sogenannten Problemart die gesamte Schuld für die ökologischen Schäden gibt. Viele Inva­sionen sind eine Folge der menschlichen Landnutzung und der Zerstörung von artenreichen Ökosystemen. Unsere Sicht ist vor allem auch durch das Schicksal von Inseln geprägt, auf denen eingeführte Arten in­va­siv wurden und zum Teil dort ansässige Arten massiv bedrängten. Die starke Ausbreitung von invasiven Arten ist aber selbst auf Inseln letztlich oft die Folge von Raubbau und massiver Lebensraumzerstörung. Auch die Medien mit ihren oft reisserischen Berichten machen die Sache gewiss nicht einfacher.

TEC21: Wohin geht der Trend bei den Stadtbäumen?
Mark Krieger: Die Verantwortlichen der Grünäm­ter sind bestrebt, stets herauszufinden, welche Bäume sich für die Stadt besonders gut eignen. In Hamburg hat dies dazu geführt, dass an einer 2 km langen Strasse 23 verschiedene Bau­marten anzutreffen sind, weil die Gärtner der Stadt immer gerade den aktuell von den Gremien empfoh­lenen Baum gepflanzt haben.

TEC21: Was zeichnet einen modernen Stadtbaum aus?
Mark Krieger: Ein moderner Stadtbaum ist schlank, und man muss keinen Baumschnitt ausführen. Er kommt mit Salz zurecht, ist stabil und gesund. Seine Blüten, Früchte oder sein Laub stinken nicht. Es sind Bäume, die Trockenheit aushalten und frosthart sind. Somit ist klar: Den für alles geeigneten Stadtbaum gibt es natürlich nicht.

TEC21: Können einheimische Baumarten bei diesem Anfor­de­rungsprofil noch mithalten?
Mark Krieger: Vor einigen Jahren – es war ein besonders heisser Sommer – bekamen die heimischen Baumarten in Wien alle grosse Probleme. Die Stadt Wien behauptet nun, diese seien dem künftigen Klima nicht mehr gewachsen, und empfiehlt deshalb, keine heimischen Bäume mehr zu verwenden. Ich finde, das geht zu weit. Es gibt da aber ein anderes Problem: Fast alle unsere traditionell an Strassen gepflanzten Bäume, also etwa Bergahorn und Linde, bilden sehr breite Kronen aus. Bezüglich Schatten und Kühlung ist das zwar oft vorteilhaft, es verursacht aber auch Probleme und Aufwand. Für das erforderliche Lichtraumprofil müssen die Äste zum Beispiel bis 4,5 m entfernt werden. Das ist ein wirtschaftlicher Faktor.

TEC21: Worauf ist bei der Wahl der Stadtbäume denn zu achten?
Mark Krieger: Diversität und Risikoverteilung sind der Schlüssel. Also viele verschiedene Baumarten gemischt pflanzen, aber sie nicht unbedingt in Alleen mischen. Es werden auch neue Schädlinge auftauchen. Je breiter man aufgestellt ist, desto sicherer ist der Weg in die Zukunft. Auch nicht heimische Ar­ten leisten einen Betrag zur Vielfalt. Wir haben 150 bis 200 Jahre Züchtungsgeschichte bei unseren Stadtbäumen zu verzeichnen – Sorten, die extra für die Stadt gezüchtet wurden. Das sind auch Kulturgüter; würden sie nicht mehr gepflanzt, wäre das ein Verlust.

TEC21: Inwiefern profitiert die Biodiversität von den ­Stadtbäumen?
Christoph Küffer: Einheimische Baumarten haben Vorteile für die einheimische Biodiversität. Eine gute Einbettung ins gesamte Ökosystem ist wichtig, damit Stadtbäume Ökosystemleistungen erbringen, zum Beispiel positive Wirkungen auf die Gesundheit oder das Stadtklima. Bäume können dies nur in einem gesunden ökologischen Umfeld leisten, und da müssen wir vor allem auch über den Boden sprechen. Ohne guten und auch genügend Boden geht es nicht. In vielen urbanen Situationen ist das verbleibende Bodenvolumen zu klein für das Wachstum vieler Baumarten. Zudem sind viele Stadtböden nicht mehr gesund und können dadurch zum Beispiel weniger Wasser speichern. Gewisse Baumarten wie etwa der Zürgelbaum gedeihen zwar auch unter schwierigen Verhältnissen, aber sie transpirieren einfach weniger und erbringen dadurch auch eine geringere Kühl­leistung an heissen Tagen.

TEC21: Was kann die Landschaftsarchitektur für die ­Biodiversität tun?
Mark Krieger: Als Landschaftsarchitekten müssen wir uns mit der Biodiversität auseinandersetzen. Bei Projekten hat der Landschaftsarchitekt auch eine moderierende Rolle. Der Dialog führt zu guten Projekten. Es gibt Landschaftsarchitekten, die rein gestalterisch entscheiden. Ich halte das jedoch für gefährlich. Wenn wir die Risiken einzelner Pflanzen nicht kennen, kann das auf uns zurückfallen. Der Problematik der invasiven Arten muss man sich bewusst sein.
Christoph Küffer: Die grüne Branche muss vorausdenken und darf nicht erst dann reagieren, wenn eine Art verboten wird. Ein aktuelles Beispiel ist der Bergknöterich (Aconogonon speciosum), der in Lehrbüchern zum Teil angepriesen wird. Die Pflanze ist eng verwandt mit der Gattung des invasiven Japanischen Knöterichs. Der Himalaya-Knöterich (Polygonum bzw. Aconogonon polystachyum) – eine ebenfalls nah verwandte Art – ist in der Schweiz auch bereits verboten. Es ist eine durch Daten besonders gut belegte Regel: Wenn ein Vertreter einer bestimmten Artengruppe invasiv wurde, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass nahe Verwandte sich gleich entwickeln.

TEC21: Und was ist zu tun, wenn nun unliebsame Neophyten auftauchen und so einiges durchein­anderbringen?
Mark Krieger: Gärten werden gepflegt. Wenn die Nordamerikanische Goldrute aufkommt und wir nichts machen, dann wird der Garten von Neophyten in Besitz genommen. Dasselbe gilt im Moor bei Wetzikon im Zürcher Oberland. Dieses wird eigentlich gepflegt wie ein Park. Goldruten werden von Naturschutzverbänden oder Freiwilligen von Hand entfernt. Wenn wir etwas Bestimmtes erhalten wollen, müssen wir eingreifen.

TEC21: Haben wir Menschen nicht einfach auch Mühe, Veränderungen zu akzeptieren? Sollten wir manchmal nicht etwas mehr Geduld haben, bis sich neue Gleichgewichte einstellen?
Christoph Küffer: Das ist eine wichtige Frage. Die Kon­se­­quenz davon ist aber auch, dass es Leute gibt, die der Meinung sind, wir müssen gar nichts machen. Doch dann verschwinden halt beispielsweise die Orchideen, wenn sich Goldruten ausbreiten. Auf jeden Fall können wir nicht davon ausgehen, dass Ökosysteme mit ihren Arten, die wir so schätzen, sich einfach von selbst erhalten. Wollen wir sie be­­wah­ren, so ergibt sich zum Teil ein immenser Pflege­aufwand. Und da stellt sich die Frage, wie wir Politik und Be­völkerung überzeugen, dass hochwertige Natur nicht gratis ist. Wie schaffen wir es, dass die Pflege der Natur und der Grünräume stärker in den Fokus rückt und auch Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden?
Mark Krieger: Ich habe den Japanischen Knöterich in seiner Heimat gesehen. In Japan ist er gut ins Ökosystem integriert. Er ist sogar essbar wie Spargel. Bei uns ist die Pflanze nun aber ein Problem. Wenn der Mensch glaubt, dass die Landschaft, so wie sie durch ihn entstanden ist, das allerhöchste Gut ist und sich das nicht verändern darf, dann hat er damit natürlich ein Problem. In Zukunft müssen wir mit diesen Veränderungen umgehen. Wenn der Knöterich aufkommt und nicht zu bekämpfen ist, dann kann man sich entscheiden, mit ihm zu leben und eventuell lenkend einzugreifen – oder eben unglücklich zu werden. Und es ist wohl besser, wenn man probiert, mit ihm zu leben.

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