Dia­mant­sä­ge schafft Raum

Ein radikaler Umbau bringt die konstruktiven Besonderheiten von Zivilschutz­anlagen zum Vorschein: ein Lehrstück für ähnliche Bauaufgaben.

Publikationsdatum
26-02-2014
Revision
18-10-2015
Thomas Ekwall
MSc. EPFL Bau-Ing., MAS ETHZ Arch., Korrespondent TEC21

Die Ausgangslage für die planenden Bauingenieure von Thomas Boyle + Partner AG war prekär: Im UG des geplanten Alterswohnhauses sollten 25 Einzelräume zu einem zusammenhängenden Raum umgebaut werden. Grundlage dieser Planung war eine offenbar optimistische Machbarkeitsstudie. Sie versprach, dass aus der Zivilschutzanlage eine Tiefgarage mit 19 Abstellplätzen entstehen könnte, sofern man grosszügig Teile des bestehenden Tragwerks abriss. Die planenden Ingenieure erhielten im Vorprojekt die alten Bewehrungspläne und Eisenlisten dieser Konstruktion und stellten fest, dass die Decken und Bodenplatten für die Aufnahme konzentrierter Lasten nicht geeignet waren. 

«Die von der Studie vorgesehene Stützenlösung war nicht realisierbar», erläutert Thomas Boyle im Gespräch mit TEC21. Nachfolgend beschreibt er die besonderen Bedingungen und Merkmale seiner Umbaumassnahmen.

«Duktilität durch gezielte Schwächung»

Hätte man, wie es die Machbarkeitsstudie vorsah, die tragenden Wände entfernt, so hätten die Decke über dem UG und die Bodenplatte dem Druck der oberen Stützen nicht mehr standgehalten – es wäre zum Durchstanzen gekommen. Die 90cm dicke Decke über dem UG ist schwächer, als es der erste Blick vermuten lässt: Nur die unteren 55cm sind bewehrt und im Auflagerbereich statisch aktivierbar, die oberen 35cm Aufbeton dienen einzig dem Strahlenschutz und erhöhen die ständigen Lasten. Die 50cm starke Bodenplatte ist ihrerseits mit spärlichem Bewehrungsgehalt und im Auflagerbereich mit kurzen Verankerungslängen ausgebildet, was bei alten Schutzräume die Regel ist. Damit können aber die heutigen konstruktiven Anforderungen nicht erfüllt werden.2 Aus diesen Gründen mussten einzelne Wände erhalten bleiben, um die Lasten gleichmässiger in die Decke einleiten zu können.

Drei Umbaumassnahmen kamen zum Einsatz, von denen die ersten beiden als konventionelle Verstärkungen zu verstehen sind. HEM-Stahlunterzüge fangen die Lasten ab, nachdem die entsprechenden Wände abgebrochen wurden. Die Decke bleibt damit linear gelagert. Die Träger liegen auf den bestehenden Wänden in ausgespitzten Nischen auf, wobei die Wände jeweils beidseits 30cm aufgedoppelt wurden. Nur so können sie die Lasten aufnehmen, und die Lasteinleitungsfläche in der Bodenplatte vergrössert sich um das notwendige Mass.

Hinter der dritten Massnahme – der gezielten Schwächung der Trennwände – stand die Erkenntnis, dass die Bodenplatte sich nicht weiter gegen Durchstanzen verstärken liess. Wie zur Bauzeit üblich, war sie als zweischalige schwarze Wanne ausgebildet, mit dazwischen liegender Bitumenbahn. Dieses Abdichtungsprinzip kann nur mit grossem konstruk-tiven Aufwand tangiert werden, weshalb eine konventionelle Mikropfahlverstärkung nicht infrage kam. Eine nachträglich eingebrachte Durchstanzbewehrung hätte die mangelnde Biegebewehrung nicht kompensieren können.

Die Ingenieure packten deshalb das Problem an den Wurzeln, nämlich bei der konzentrierten Lasteinleitung in den Wandenden: Sie liessen auf halber Höhe einen 1.90m langen Schlitz fräsen und lagerten somit die Schnittkräfte vorteilhaft um. «Solche gezielten Schwächungen sind im Holzbau und im Stahlbau häufig notwendig», betont Boyle. «Man zwingt dem Tragwerk ein duktiles Verhalten auf, indem diese Eingriffe es dort weicher machen, wo es sich selber aus vermeintlicher Stärke gefährden würde. Hier wollten wir den direkten Kraftfluss vom Wandkopf zum -fuss verhindern. Sonst hätte die Krafteinleitung in die Bodenplatte am Wandfuss zu einem ‹Aufreissen› der Bodenplatte vom Wandende Richtung Aussenwand geführt, und schliesslich zu einem fortlaufenden Versagen der Wand entlang. Eine FE-Berechnung hat uns die gewünschte lineare Verteilung der Wandlasten am Wandfuss bestätigt.»

Alle diese Massnahmen führten zu Mehrkosten und Nutzungseinbussen, die der Bauingenieur der Bauherrschaft aber bereits im Vorprojekt mitteilte. Für die Stadt Zug war das zum Glück kein grundlegendes Problem. Ein kompletter Verzicht aus technischen Gründen auf die vorgesehene Nutzung als Einstellhalle hätte das Projekt dagegen infrage gestellt.

Die bei Weitem kostenintensivste Massnahme war der Abriss der zahlreichen tragenden Wände, um den für die Einstellhalle notwendigen Platz zu schaffen. Unzählige Kernbohrungen, Kontur- und Zerkleinerungsschnitte der Wandscheiben mit der Diamantsäge sowie Abtransporte der Betonblöcke waren erforderlich. Dazu kamen die engen Baustellenverhältnisse und der sorgfältigen Abbruchvorgang. Weil das Tageslicht fehlte und Staub allgegenwärtig war, erinnerte die Baustelle eher an einen Untertagebau.

Grosser Aufwand bei geringer Nutzung

Aus diesem radikalen Umbau der ehemaligen Zivilschutzräume lassen sich hinsichtlich Nutzungskonzepten, konstruktiven Besonderheiten und Umbaumassnahmen generelle Schlüsse ziehen:

Trotz der umfangreichen Massnahmen konnte nur ein Teil der erhofften Neunutzung realisiert werden. Und die Ergebnisse sind durchaus kontrovers zu hinterfragen: Mobilitätslösungen wie Carsharing oder die Verlegung der neun Parkplätze an einen anderen Ort wären vermutlich nachhaltiger gewesen. In diesem Sinn ist primär eine Umnutzung bei gleichzeitigem Erhalt der Tragkonstruktion anzustreben. Weil aber für die meisten Neunutzungen zusammenhängende Flächen gewünscht oder erforderlich sind, ist die Verhältnismässigkeit frühzeitig und gründlich zu überprüfen.

Das Tragverhalten ehemaliger Schutzräume ist voraussehbar: Die konstruktive Ausbildung ist in den entsprechenden Richtlinien festgelegt und im Einzelfall meist gut dokumentiert. Die Bauteilstärken täuschen aber häufig eine Robustheit vor, die nicht vorhanden ist, und die Bewehrungsführung entspricht nicht mehr den heutigen Normen. Dies lässt nur geringe Anpassungen der Tragkonstruktion zu. Die Deckenverstärkungen wären ohne die grosszügigen Raumhöhen nicht realisierbar gewesen. Solche Lösungen eignen sich demnach eher für öffentliche als für private Schutzräume.

Deckenverstärkungen bzw. Abfangkonstruktionen mit Stahlträgern sind pragmatisch und eignen sich wegen der trockenen Bauweise. Die Wandverstärkung ist ebenso legitim und kompensiert die Schwäche der Bodenplatte. Sie verringert aber auch die Duktilität dieses Bauteils, da die Verankerung der Biegebewehrung ausserhalb des Bruchkegels reduziert wird. Der Wandschlitz ist eine elegante, effiziente und zugleich einfach umsetzbare Lösung. Gezielte Schwächungen sind im Betonbau kein Novum3 und können insbesondere beim Bauen im Bestand eine gezielte Kraftführung erzeugen. 
Das Durchstanzen wurde hier mit grösster Vorsicht behandelt. Allerdings erschwert die starke Fortentwicklung der Normen in diesem Gebiet die Einschätzung des realen Tragvermögens, umso mehr im Umgang mit dem Bestand.4

Dieses Projekt zeigt, welches architektonische Potenzial im Umbau von Zivilschutzanlagen steckt. Die Umsetzung setzt aber solide Planungsgrundlagen und einen gekonnten Umgang des Bauingenieurs mit solchen bestehenden Tragwerken voraus. 

Anmerkungen

  1. Die Machbarkeitsstudie war von der Stadt Zug im Zusammenhang mit dem Architektenwettbewerb 2007 in Auftrag gegeben worden.
  2. Ungenügende Verankerung der Biegebewehrung: «Die [für den Biegewiderstand] in Rechnung gestellte Bewehrung muss ausserhalb des Bereichs der Breite 3d neben der gestützten Fläche vollständig verankert sein.» (SIA 262:2003 §4.3.6.4.2.)
  3. Beispielweise können Pfeilerenden oder Bogenkämpfer mit Betongelenken versehen werden. Sie sind planmässig anfällig für Risse, womit an diesen Stellen keine Biegemomente infolge Zwangsverformungen entstehen.
  4. Die Klausel zur Verankerung der Biegebewehrung (Fussnote 2) ist in der revidierten Betonbaunorm SIA 262:2013 nicht mehr vorhanden. Zur Zeit der Projektierung galt aber die Auflage 2003. 

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