«Der Un­ter­schied liegt in der Denk­wei­se»

Interview mit Thomas Wachter, Präsident VSI.ASAI

Das Bauen professionalisiert sich, die Zahl der beteiligten Fachplaner wächst. Innenarchitekt Thomas Wachter erklärt, wo sich sein Berufsfeld in diesem Prozess positionieren will.

Publikationsdatum
19-12-2014
Revision
28-12-2018

TEC21: Herr Wachter, Innenarchitektur überschneidet sich oft mit den Tätigkeiten der Architekten. Was unterscheidet einen Innenarchitekten von einem Architekten? 
Thomas Wachter: Ein Innenarchitekt denkt von innen nach aussen. Innenarchitektur stellt den Nutzer ins Zentrum, nicht das Objekt oder den Städtebau mit seinem langfristigen Horizont, wie es die Hochbauarchitektur tut. Ich denke, dass die drei Bereiche – Hochbau-, Innen-, und Landschaftsarchitektur – unter dem Überbegriff Architektur behandelt werden können. Alle drei verlangen eine Spezialisierung und beinhalten eine eigene Sichtweise.

Dann gibt es also keine Konkurrenz zur Hochbauarchitektur? 
Thomas Wachter:Hochbau- und Innenarchitekten sind nicht gegeneinander auszuspielen. Wichtiger ist, dass wir uns der spezifischen Qualifikationen und Leistungen bewusst werden. So wie einige Innenarchitekten hervorragende Architektur bauen, leisten Hochbauarchitekten auch virtuose Innenarchitektur. Zentral ist, dass wir die unterscheidenden Kernkompetenzen kennen. Diese liegen nicht im technischen oder räumlichen Bereich, sondern in der spezifischen Denkweise. Unsere beiden Berufe liegen in Kultur und Tätigkeiten sehr nah, im Umgang mit dem Nutzer aber unter Umständen weit auseinander.

Wie haben sich die Aufgaben der Innenarchitektur in den letzten Jahren gewandelt?
Thomas Wachter: Die Kernkompetenz der Innenarchitektur – einem Raum eine Zielidentität zu geben – hat sich wenig verändert. 1942, bei der Gründung unseres Verbands, stand das Wohnen an erster Stelle, heute ist das nicht mehr die zentrale Aufgabe. Möbelhandel und Handwerk schöpfen aus diesem Gebiet. Wir kreieren heute öfter Markenarchitektur – Büros, Showräume, aber auch Orte mit öffentlichem Gebrauchsnutzen, zum Beispiel eine Tramhaltestelle. Das kann durchaus eine Innenarchitekturaufgabe sein – auch wenn es nichts mit einem Innenraum zu tun hat, sondern mit einer Marke, in diesem Fall mit einem Verkehrsunternehmen oder der Stadt und mit einem Nutzer, der diesen Ort praktisch gebrauchen soll.

Im Zuge der Energiewende besteht die Tendenz, Gebäude technisch aufzurüsten, auch auf Kosten weicher Faktoren wie Raumgefühl und Atmosphäre. Kommen die Innenarchitekten in Zugzwang? 
Thomas Wachter: Innenarchitekten müssen ein technisches Know-how besitzen. Wir manövrieren uns auf ein Abstellgleis, wenn wir glauben, wir könnten ohne das technische Grundwissen rein gestalterisch arbeiten. Aber wenn heute ein Gebäude umgebaut wird, dann in den meisten Fällen nicht aufgrund harter, also technischer Faktoren. Bauherrschaften ist das zu wenig bewusst. Man spricht von Garantiefristen, der Langlebigkeit einer Heizung, der Qualität eines Bauwerks im technischen Sinn – aber bei den meisten unserer Aufträge ist die Lebensdauer des Bauwerks noch lang nicht abgelaufen. Der Umbau erfolgt aufgrund weicher gestalterischer Faktoren: Es gefällt nicht mehr, die Identität stimmt nicht mehr, die Funktionen decken sich nicht mehr. Aber die Technik, das Gebäude würden noch lang funktionieren. Weiche Faktoren sind heute viel entscheidender für die Annehmlichkeit eines Gebäudes und in diesem Sinn auch für die Nachhaltigkeit.

Besteht dafür ein Bewusstsein?
Thomas Wachter: Vor allem öffentliche Bauherrschaften sind sich dieser Leistung noch zu wenig bewusst – mit der Folge, dass die Arbeit der Innenarchitekten von diesen weder beauftragt noch entschädigt wird. Das betrifft auch viele Hochbauarchitekten, die eine hochqualitative Architektur liefern, ihre Leistungen im Bereich der Innenarchitektur aber nicht finanziert bekommen – vielfach Leistungen in Detaillierungsfragen oder der Nutzerbetreuung, die nirgends erfasst, aber sehr zeitintensiv sind. Wenn einer Bauherrschaft bewusst wird, dass die Nachhaltigkeit eines Bauwerks stark von gut gestalteten weichen Faktoren abhängt, kommt man vielleicht einmal an den Punkt, an dem es sich lohnt, in Innenarchitektur zu investieren – ohne den Architekten etwas wegzunehmen. Dann finanziert man diesen Bereich eben auch.

Wie kann man Bauherrschaften dazu animieren, Innenarchitektur angemessen zu entschädigen? 
Thomas Wachter: Neben einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit nimmt der Kunde einen Berufsstand auch über das Normen- und Vertragswesen wahr. Deshalb ist unsere Honorarordnung ein wichtiger Teil unseres Selbstverständnisses. Auch für die Architekten wäre eine Honorarordnung für Innenarchitekten vom SIA wichtig. Weitere Punkte werden die Wettbewerbsordnung sowie die Frage des Vergabewesens sein. Da bestehen noch grosse Mängel, gerade bei der öffentlichen Hand, weil die Leistungen der Innenarchitektur heute unter Architektur subsumiert und nicht anerkannt werden.

Ab dem kommenden Jahr wird in der Schweiz eine Masterausbildung für Innenarchitekten angeboten. Warum erst jetzt? 
Thomas Wachter: Um 2002 wurde in der Schweiz das Fachhochschulsystem mit dem Bachelor eingeführt. Die Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel, die Haute école d'art et de design in Genf und die Fachhochschule Südschweiz in Lugano erhielten einen Bachelorstudiengang Innenarchitektur. Aufgrund der hohen Nachfrage in der Deutschschweiz kam im Jahr 2009 die Hochschule Luzern dazu. Es bestand aber nie die Kraft, einen Master für ein Innenarchitekturstudium aufzubauen. In der Zwischenzeit hat man den Mangel erkannt, die Schulen haben sich zusammengetan und einen Kooperationsmaster aufgebaut. 2015, so hoffen wir, wird er nach langen, zähen Verhandlungen aufgenommen.

Masterstudium bedeutet vermehrtes wissenschaftliches Arbeiten und akademisches Denken. Brauchen Innenarchitekten das? 
Thomas Wachter: Ja. Im Bezugsfeld vom Mensch zum Raum gibt es viele Berührungspunkte, die noch sehr empirisch gehalten sind und denen es guttun würde, in der Tiefe untersucht zu werden. Damit würde man ein fundierteres Wissen für den Berufsstand erlangen.

Wie geht es mit der Innenarchitektur weiter? Ist man auf gutem Weg, oder gibt es Baustellen? 
Thomas Wachter: Wir haben im VSI.ASAI rund 200 aktive Mitglieder, das widerspiegelt etwa ein Fünftel bis ein Viertel aller tätigen und an Fachhochschulen ausgebildeten Innenarchitekten in der Schweiz. Wir wachsen um etwa 5% pro Jahr, das Interesse ist rege. In der öffentlichen Meinung ist Innenarchitektur sehr positiv besetzt – wir sind eigentlich viel besser positioniert, als wir das selber wahrhaben wollen. Die Mitgliedschaft als Fachverband im SIA war eine wichtiger Schritt, der es nun erlaubt, die Schnittstelle zur Hochbauarchitektur zu klären. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

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