Der Mar­ken­wert der Ar­chi­tek­tur

Bauwerke haben eine grosse Aussenwirkung. Unternehmen nutzen dies, um ihre Identität zu transportieren. Alle zwei Jahre wird ein Preis in acht Kategorien für hervorragendes Marketing durch Architektur vergeben. Dieses Jahr gewinnt die «stadtlounge» in St. Gallen den Hauptpreis.

Publikationsdatum
05-06-2014
Revision
01-09-2015

Kalt lässt der rote Platz in ­­­­St. Gallen niemanden. Die einen schätzen den mit ­rotem Kunststoffgranulat überzo­genen Stadtraum, unter dem sich Bänke, Sofas und gar ein Auto abzeichnen. Die anderen können ihm nicht viel Gutes abgewinnen. Wie auch immer man dazu steht: Die ­sogenannte «stadtlounge» des Ar­chitekten Carlos Martinez und der Künstlerin Pipilotti Rist weckt ­Emotionen. Und damit sind wir schon mitten in der Diskussion, in der sich auch der Award für Marketing und Architektur bewegt. Die Aus­zeichnung wird seit 2008 alle zwei Jahre vergeben. Mit ihr werden ­«Firmen, Institutionen, Architekten und ­Bauherren ausgezeichnet, welche die Architektur als Marketing­instrument hochwertig und sinnvoll einsetzen.» 

Für einmal steht die  Architektur also nicht direkt im Vordergrund, sondern ihre Wirkung als Marke­tinginstrument. Die Preise werden in acht Kategorien vergeben, die zwölfköpfige Jury wählt aus ihnen einen Hauptgewinner aus. 2014 hat sich die «stadtlounge» als Siegerin des Gesamtwettbewerbs und der Kategorie Standortförderung durchgesetzt. Die Raiffeisen Schweiz Genossenschaft aus St. Gallen fungiert als Bauherrschaft. 

Mit dem Blick der Werber

Die «stadtlounge» ist ein bestechendes Beispiel dafür, wie Architektur und Marketing zusammenspielen. Der Platz liegt in einem Quartier, das die Raiffeisenbank in den letzten Jahren umgepflügt hat und mit mehreren Neubauten wiedererfinden musste. Früher standen dort an zentraler Lage umgenutzte und leicht verlotterte Industriebauten, in denen ein sich Brockenhaus und auch das Atelier des berühmten naiven Malers Hans Krüsi befanden – ein Ort mit hoher Identität, aber geringer Wertschöpfung. Dieser Charakter war dem Bleicheli-Quartier nach seiner Erneuerung abhanden gekommen, und der Aussenraum sollte nun das leisten, was der Architektur nicht gelang: dem Geviert einen Charakter geben.

Der rote Platz vermittelt zwischen den Neubauten und verleiht dem Quartier selbst über Stras­sen hinweg eine einheitliche Oberfläche. Das Beispiel verkörpert nicht nur formal eine aussergewöhnliche Aussenwirkung einer Marke – der Platz ist unter dem Namen «Raiff­eisenplatz» im Stadtplan von St. Gallen verzeichnet: ein wahrer Marketingcoup. Kein Wunder, dass sich die Kommunikationsfachleute in der Jury dafür begeistern konnten.

Vielfältige Gewinner

Die weiteren Kategorien zeichnen weitere breit diskutierte Gebäude und Bauwerke aus: das Projekt «Im Viadukt», bei dem unter den steinernen Viaduktbögen im hippen Kreis 5 in Zürich Verkaufslokale eingebaut wurden (Preis für Industrie- und Gewerberäumlichkeiten), oder die Tamina Therme Bad Ragaz, für ­deren Gestaltung Smolenicky & Partner aus Zürich verantwortlich zeichnen (Auszeichnung in der ­Kategorie Hotels, Restaurants, Bars, Residenzen, Wellnessanlagen). Das Bad polarisiert auf ähnliche Weise wie die «stadtlounge»: Auch an ihr scheiden sich die Geister, und an Charakter mangelt es dem Gebäude bestimmt nicht.

Besonders erwähnenswert erscheint die Energiezentrale Forsthaus Bern von Graber Pulver (Auszeichnung in der Kategorie öffent­liche Bauten und Anlagen), bei der für einen gigantischen Infrastrukturbau eine architektonische Form gefunden werden musste. Hier hatte sich wohl die Fraktion der Bau­fachleute in der Jury durchgesetzt, denn die Energiezentrale schafft dank ihrer kräftigen Architektur eine äusserst starke Identität.

Ein Exote unter den Preisen

Der Award für Marketing und Architektur stellt eine Besonderheit auf der Landkarte der Architekturpreise dar. Im Normalfall bleiben die Baufachleute unter sich, wenn ein Preis verliehen wird – eine Jury aus den verschiedenen Fachbereichen bildet dabei schon die löbliche Ausnahme. Die «Auszeichnung für hochwertige Corporate Architecture» hingegen vereint neben den Architekten und Archi­tektinnen auch Fachleute aus Kommunikation und Marketing. Dabei entsteht eine merklich andere ­Wahrnehmung der gebauten Umwelt. Erst durch das Urteil der bunt gemischten Jury wird jedoch bewusst, welche Bauwerke ein ­Potenzial haben, gegen aussen zu wirken. 

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