«Das Länd­li­che ist nur noch ein Denk­bild»

Biennale i2a am Istituto internazionale di Architettura in Lugano

Die ­Architektin und Stadtplanerin Ariane Widmer Pham aus Lausanne war Co-Kuratorin der ­zweiten ­Ausgabe der Biennale i2a in Lugano – und zieht eine zufriedene Bilanz.

Publikationsdatum
17-05-2018
Revision
17-05-2018

SIA: Frau Widmer Pham, die von Ihnen gemeinsam mit Ludovica Molo und Caspar ­Schärer organisierte Biennale i2a in Lugano stand unter dem Motto: «Gesellschaft der Zukunft zwischen Urbanität und Natur». Was nehmen Sie als zentrale Erkenntnis aus dem Austausch mit?
Ariane Widmer Pham: Dass mir die Unterteilung in Stadt und Land weniger denn je als zeitgemäss erscheint. Ich erlebe unsere Landschaft immer mehr als einen Raum. Das rein Ländliche ist heute doch nur noch ein Denkbild; auch weil sich die Lebensweisen immer stärker angleichen. «Landschaft ist zu einem integralen Begriff geworden», formulierte Claudia Moll vom Bund Schweizer Landschaftsarchitekten es trefflich.

SIA: Was heisst das für die Räume der Schweiz?
Ariane Widmer Pham: Diese Erkenntnis fordert uns, Lösungen für eine vernetzte Raumeinheit zu suchen. Paolo Poggiati, Leiter der Tessiner Raumentwicklungsbehörde, hat das in seinem Statement sehr gut auf den Punkt gebracht: «Wir stehen zwischen dem, was war, und dem, was noch nicht ist.» In der Wirklichkeit unserer Räume befinden wir uns an einem ­Wendepunkt: Die Räume ver­ändern sich oft rasant und suchen ihre neue Gestalt.

SIA: Es geht also um Identität?
Ariane Widmer Pham: Das Oszillieren zwischen ländlicher Identität und städtischer Wirklichkeit betrifft ganz besonders die Schweiz der Agglomerationsräume. Sie sind auf der Suche nach sich selbst, nach einer an die neue Wirklichkeit ange­passten Identität. Dazu formulierte Jonathan Sergison in einem ­treffenden Hinweis für die Planer und Architekten: «Look carefully and then make interpre­tations.» Diese Orte brauchen in der Tat besonders sorgfältige Inter­preta­tionen des Vorgefundenen.

SIA: Neben neuen Identitäten geht es um ganz Handfestes – die Verkehrsexplosion, Umweltpro­bleme, Zersiedlung, soziale Segregation …
Ariane Widmer Pham: Ich frage mich oft, ob wir knapp vor einem disruptiven Moment grosser Verwerfungen stehen – oder ob doch alles noch glimpflich abgehen wird. Kein Zweifel: Es braucht Engagement. Wir haben als Planer eine grosse Verantwortung zu handeln, und zwar als kollektive Verantwortung der Disziplin. Soziale wie auch räumliche Komplexität sollten wir nicht als Hürde, sondern als positive Herausforderung ver­stehen, denn sie schafft eben auch Platz für Kreativität.
 
SIA: Kann es kluge Planung allein denn richten? Müssen die ­richtigen Weichen nicht in der Politik gestellt werden?
Ariane Widmer Pham: Ja, das stimmt. In einem immer komplexeren und sich immer schneller verändernden Umfeld müssen die Probleme ge­meinsam angepackt werden. Die Politiker haben hier eine fundamentale Rolle zu spielen. Sie können neue Handlungs­felder öffnen. Und es braucht auch Vordenker, die, wie Peter Swinnen es ausdrückt, als «Policy Whisperer» unsere Politiker konstruktiv ­beeinflussen. Architektur also als Werkzeug, um Fragen ­aufzuwerfen.

SIA: Neben Projekten aus der Schweiz wurden auch bemerkenswerte Beispiele aus dem Ausland ­präsentiert …
Ariane Widmer Pham: Die Projeke von Frédéric Bonnet, der in Mendrisio lehrt, zeigen sehr schön, was möglich ist, wenn Politiker einen Aufbruch für ihre Stadt wollen: Die franzö­sische Stadt Nantes an der Loire initiierte ein Stadterneuerungsprogramm. Dessen grosse Stärke war, dass es sich nicht allein auf Unorte der Peripherie und Probleme der Kernstadt fokussierte, sondern die umge­bende Landschaft umfassend mit einbezogen hat. In dem von der Stadtpräsidentin unterstützten Konzept Bonnets gelingt es, die freigelegte Loire zum gemeinsamen Identifika­tionsband für die Region werden zu lassen, als Bindeglied der neu geschaffenen Räume. Mit Beispielen wie diesem wollten wir, die ­Kuratoren der Biennale, ­Fenster öffnen und Blicke auf ein hoffentlich wünschenswertes Morgen ermöglichen.
 

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