«da­da­glo­be» – Tris­tan Tz­aras Da­da-Buch wach­ge­küsst

Das Buchprojekt «dadaglobe» von Tristan Tzara ist sagenumwoben und geheimnisvoll. Er hatte 1920 gemeinsam mit Francis Picabia von Paris aus jene Künstler angeschrieben, die im Sinn der 1916 in Zürich nicht einfach gegründeten, sondern förmlich wie eine Bombe eingeschlagenen Dada-Bewegung tätig waren. Das Buch war auf Frühjahr 1921 geplant, ist aber nie erschienen. Nun hat das Kunsthaus Zürich diese Anthologie rekonstruiert und zeigt die dafür zusammengetragenen Dokumente in einer kleinen, doch bemerkenswerten Ausstellung.

 

Publikationsdatum
11-02-2016
Revision
11-02-2016

Tristan Tzara1 und Francis Picabia schrieben im Herbst 1920 rund 50 Künstler auf Papier mit dem Briefkopf des in Paris domizilierten «Mouvement Dada» (Berlin, Genf, Madrid, New York, Zürich) gleichlautend an: «Im März wird in dem grossen Pariser Verlag La Sirène ein Dada-Buch erscheinen, das gegen 300 Seiten umfassen wird. Format 25 auf 32 cm, Verkaufspreis Frs. 20.–, Erstauflage 10 000. Sie werden hiermit höflichst eingeladen, an diesem Werk mitzuarbeiten.» Weiter waren detaillierte Angaben zu den erwünschten Einsendungen aufgelistet, verbunden mit der Ermunterung, weitere Ideen beizusteuern. Im Briefkopf dann der offizielle Hinweis: «Die Einsendungen sind zu richten an: Tristan Tzara, c/o Francis Picabia, 14, rue Emile Augier, Paris (16).

Europa war nach der Pariser Friedenskonferenz 1919, im Gegensatz zur Situation vor dem ersten Weltkrieg, voller Grenzen. Es gab die Entente und ihre Verbündeten (Grossbritannien, Frankreich, Italien usw.), die Mittelmächte (das Deutsche Reich und Compagnie mit einer Ausdehnung bis in die Türkei) und neutrale Staaten wie Spanien, Dänemark oder die Schweiz. Der Postweg war damals die einfachste Möglichkeit, sich über diese Grenzen hinweg auszutauschen.

Tatsächlich hatten nach dem Aufruf 40 Künstler aus zehn Ländern rund 200 Bilder, Texte und Fotos nach Paris gesandt. Aber finanzielle, organisatorische und wahrscheinlich auch persönliche Schwierigkeiten verhinderten letztlich die geplante Publikation. Picabia hatte offenbar wenig Lust, weiterhin Geld in dieses Projekt zu stecken. Für den Verleger Paul Laffitte dürfte dies ein willkommener Grund gewesen sein, seineseits den Stecker zu ziehen.

Langjährige Forschung für Dada

Wäre diese Anthologie 1921 tatsächlich erschienen, würde sie heute bestimmt als grundlegende Veröffentlichung der Dada-Bewegung zählen. Von rund 200 eigens dafür geschaffenen Kunst-, Bild- und Textbeiträge jener Zeit konnten 160 für das Ausstellungs- und Buchprojekt des Kunsthauses Zürich beschafft werden. Sie sind in der kleinen Schau und im rekonstruierten Buch «dadaglobe reconstructed» dokumentiert.

Damals wäre das Buch einem Hohelied auf reproduzierte Kunstwerke gleichgekommen, heute ist es eine erhellende Dokumentation über Dada, in der zu blättern und zu lesen ein Vergnügen ist. Dass Buch und Ausstellung zustande gekommen sind, grenzt an ein Wunder. Denn 1968 wurde bei Kornfeld und Klipstein in Bern ein Grossteil des Nachlasses von Tristan Tzara versteigert. Doch befinden sich heute immerhin noch elf jener Originale, die Künstler und Freunde damals an Tzara sandten in der insgesamt 720 historische Dokumente umfassenden Dada-Sammlung des Kunsthauses Zürich. Ein Grossteil der Blätter stammt vom Mailänder Galeristen Arturo Schwarz.

Kurz nach Tzaras Tod Ende 1963 beschäftigte sich der Dada-Forscher Michel Sanouillet (1924–2015) mit der Rekonstruktion des «dadaglobe». Damals war die Überzeugung verbreitet, es handle sich um ein Fantasieprodukt. Sanouillet fand aber im Nachlass Tzaras Notizen und Listen die zeigten, dass die Absicht real war. 2006 fand in New York eine grosse Dada-Ausstellung im Museum of Modern Art statt. Die Gastkuratorin Adrian Sudhalter (New York) recherchierte damals für die Ausstellung und legte damit den Grundstein zur nun gemeinsam mit der Kuratorin Cathérine Hug präsentierten Ausstellung.

Wunderkammer Dada

Diese Kabinett-Ausstellung gleicht einer beeindruckenden Wunderkammer zur Dada-Bewegung, zu deren künstlerischen Vielfalt, dem gesellschaftlichen und politischen Wirken und der kunsthistorischen Bedeutung. Zu sehen sind Beiträge von Hans Arp, Johannes Baargeld, Constantin Brancusi, Jean Crotti, Max Ernst, Hannah Höch, Francis Picabia, Man Ray, Sophie Taeuber-Arp und gegen 30 weiteren Künstlern und Künstlerinnen.

Bei diesen für Ausstellung und Buch zusammengetragenen 160 durchwegs kleinformatigen Arbeiten handelt es sich um Fotografien, Zeichnungen, Fotomontagen, Collagen sowie um Lyrik- und Prosawerke, Manuskripte, Drucksachen und andere historische Dokumente. Nebst Werken aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Berlin, Paris und New York stammen rund ein Viertel der Exponate aus der bei der Sorbonne Paris domizilierten Bibliothèque littéraire Jacques Doucet (www.bljd.sorbonne.fr).

«dadaglobe reconstructed» ist im Kunsthaus Zürich noch bis zum 1. Mai 2016 zu sehen, danach vom 12. Juni bis 18. September 2016 im Museum of Modern Art in New York.

Anmerkung

  1. Tristan Tzara, eigentlich Samuel Rosenstock, geboren 1896 in Rumänien, gestorben 1963 in Paris, begründete mit Hans Arp und Hugo Ball die Zürcher Gruppe des Dadaismus. Die Aktivitäten der Gruppe fanden im «Cabaret Voltaire» statt.

dadaglobe reconstructed


Der Katalog auf Deutsch oder Englisch ist im Verlag Scheidegger & Spiess erschienen. Er enthält auf 160 zurückhaltend gestalteten Seiten die Rekonstruktion von Tzaras Buchprojekt, die den Anweisungen des Dadaisten möglichst genau folgt. Im eingebundenen, praktischerweise leicht kleinformatiger gehaltenen Kommentarteil von 144 Seiten sind einige lesenswerte Beiträge publiziert, vor allem ein umfassender wissenschaftlicher und unterhaltsam zu lesender Essay von Adrian Sudhalter.
300 Seiten, über 200 farbige Abbildungen und 100 schwarz-weisse Reproduktionen, darunter Tzaras Listen und ein Teil der Korrespondenz jener Zeit.
Erhältlich im Kunsthausshop Zürich für Fr. 66.–

Verwandte Beiträge