Da­bei­sein ist al­les, oder?

Kommentar

Hans Ulrich Obrist, international ge­feierter Kurator für zeitgenössische Kunst, hat eine radikale Lösung für ein Problem gefunden, an dem sich viele Biennale-Kuratoren vor ihm abgemüht haben.

Publikationsdatum
19-08-2014
Revision
25-08-2015

Innert kurzer Zeit eine inhaltlich relevante Architekturschau auszurichten ist schwer – vor allem im Arse­nale, wo die riesige Ausstellungsfläche schon manchen Kurator dazu verleitet hat, den Mangel an eigenen Ideen durch das Einladen von namhaften Kollegen zu überspielen. Doch das waren halbe Sachen, verschämte Versuche gewissenhafter Baufachleute, doch noch Inhalte zu ­liefern. Hans Ulrich Obrist reagiert anders. Er bemüht sich gar nicht erst um einen thematischen Zusammenhang, sondern konzentriert sich gleich ganz auf das Namedropping.

Dass Obrist in der obersten Liga der Architekturszene vernetzt ist, hat er bereits bewiesen. An der Biennale 2010 präsentierte er Filmaufnahmen von Interviews, die er mit allen teilnehmenden Architektinnen und Architekten geführt hatte. Die Ausstellung war weder formal innovativ – Obrists «Interview project» lief damals schon seit vielen Jahren – noch inhaltlich besonders ergiebig. In Bezug auf ihren schalen Nachgeschmack dagegen war sie einmalig. Die Besucher, vorerst rein visuell durch die vielen Bildschirme über­fordert, wunderten sich über das teilweise seichte Geplauder, gelangten aber schliesslich – weil eben auch gewissenhafte Baufachleute – zur frustrierten Erkenntnis: Diese Sphären sind wohl zu hoch für mich. Eine solche Materialflut, deren fundierte Auswertung schon aus Zeitgründen unrealistisch ist, erstickt jede Kritik im Keim.

Mit «Cedric & Lucius» geht Obrist noch weiter. Der Titel suggeriert, dass er sowohl mit Cedric Price als auch mit Lucius Burckhardt per Du war. Diese wertvolle Auskunft wird in der Ausstellung nur noch unwesentlich durch fachliche Informationen verwässert. Statt dessen kommen berühmte Co-Kuratoren und diverse künstlerische oder architektonische Eingriffe hinzu. Am Eröffnungstag gab es zudem Kurzreferate, die in mehrstündigen Blöcken über die Besucher niederprasselten. Das Publikum staunt und rätselt: Hinter allem steht der eine oder andere grosse Name, manches wirkt unmotiviert, manches nicht, doch was das Ganze eigentlich soll, bleibt im Dunkeln.

Vielleicht müsste man alles genau studieren, um die inhaltlichen Zu­sammenhänge selbst herzustellen. Vielleicht aber liegt man grundsätzlich falsch, wenn man es versucht: Gründet dieses lästige Bedürfnis nach Kohärenz nicht in einer vordigitalen, von der frei denkenden Avantgarde längst überholten Haltung? Die Besucher sind ratlos, halten den Mund und fragen sich, was sie wohl diesmal falsch verstanden haben. Denn all die Berühmtheiten wissen ja bestimmt, warum sie hier sind.

Die internationale Elite aus Architektur, Kunst und Kultur kommt, wenn Hans Ulrich Obrist sie ruft. Das ist die einzige eindeutige Aussage der Ausstellung – und somit auch die architektonische Botschaft der Schweiz an die Welt. Für ein Land, das auf seine Baukultur stolz sein darf, ist das äusserst dürftig.

Beschämend ist auch der Erfolg der Veranstaltung, sofern man ihn am Menschenstrom misst, der sich am Eröffnungstag vor dem Pavillon staute. Die beliebige Aneinanderreihung von Exponaten und Performances, die sinnentleerte Reizüberflutung, das Abfeiern des eigenen Netzwerks und die implizite Abwertung des Publikums sind auf einmal kein intellektueller Bankrott mehr, sondern eine kulturelle Leistung. Was so viele Menschen anzieht, will niemand verpassen. Als Preis fürs Dabeisein bestaunt man fügsam des Kaisers neue Kleider. Am Ende sind alle zufrieden: der Kurator, seine Gäste, die Auftraggeber und das Fussvolk, das etwas Celebrity-Luft schnuppern durfte. Trotzdem: Gibt es zur modernen Schweizer Architektur wirklich nichts Gehaltvolles zu ­sagen.

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