Blaue Far­be und blau­es Licht in der Ar­chi­tek­tur

Beliebte Farbe, wenig genutzt

Blau nimmt in der Architektur einen besonderen Platz ein: Die Farbe des Himmels ist nahezu immer präsent und gibt Gebäuden einen Hintergrund. Obwohl Blau die am häufigsten genannte Farbe in Untersuchungen zu ­Farbvorlieben in Europa und den Vereinigten Staaten ist, tritt sie hier ­architektonisch eher selten in Erscheinung und wenn, dann meist in symbolhafter Funktion. Wie ist die Diskrepanz zwischen allgemeinen Vorlieben und architektonischen Präferenzen zu erklären?

Publikationsdatum
01-01-2012
Revision
01-09-2015

Die Farbe Blau verfügt über eine spezifische Symbolik. In der Zeit der alten Ägypter verkörperten die blauen Wassertiefen das Weibliche, während der blaue Himmel mit dem Männlichen assoziiert wurde. In vielen Kulturen wird die Farbe mit der Ewigkeit in Verbindung gebracht. ­
So ist es nicht verwunderlich, dass diese Farbe ein Attribut vieler Gottheiten wurde, wie des ägyptischen Amun, des griechischen Zeus, des römischen Jupiter, des hinduistischen Vishnu oder von Krishna als blauhäutiger Inkarnation. In der katholischen Religion gehört Blau zur heiligen Mutter, die oft in blauer Kleidung dargestellt wird. (1) Die Tatsache, dass diese Farbe so eng verbunden ist mit Göttlichkeit und dem Himmel als dem Ort, wo die Götter wohnen, blieb nicht ohne Einfluss auf die Architektur. Auf der griechischen Insel Santorin symbolisieren blaue Kuppeln die Huldigung der Jungfrau Maria. Im alten Ägypten verwiesen Türkis und Blau auf den Himmel, daher waren diese Farben zur Dekoration von Decken und Gewölben reserviert. Auch in China ist der symbolische Wert der Farbe in Tempelfarben sichtbar, wie beim Himmels­tempel in Peking, dessen Dach von blauen Ziegeln gekrönt wird. In Korea findet sich die blaue Bedachung beim «Pavillon der blauen Ziegel», dem Präsidentenpalast in Seoul. ­In der islamischen Kultur sind Türkis und Blau als Symbole, die uns vor dem Bösen beschützen, noch immer auf den Wänden und Kuppeln vieler Moscheen zu finden. «Blaue Moscheen» gibt es im Iran, in Afghanistan, Malaysia, Ägypten, Armenien und in der Türkei.

Farbe des Himmels und des Wassers

Früher stand die Farbe Blau mit Wasser als unbeständigem Untergrund in Verbindung und wurde daher nur selten für Böden oder an Säulen oder Pfeilern verwendet. In vielen Regionen war Blau aber an Hauswänden als Streifen um Fenster und Türen weit verbreitet: Ein «blaues Auge» oder eine «blaue Perle» dienten als Schutz vor Misserfolg und Unglück. Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Farbe ebenso wie vergleichbare Symbole ein Haus vor Übel und Krankheit schützen sollte. (2) Das möglicherweise einzige historische ­Beispiel für die Verwendung der Farbe zu einem anderen als dem symbolischen Zweck findet sich im antiken Griechenland, wo sie auch zur Hervorhebung der Form eingesetzt wurde. Ein charakteris­tisches Merkmal war die Betonung des Schattens auf den Kapitellen ionischer Säulen mit blauer Farbe und die Verwendung von zwei verschiedenen Blautönen auf Triglyphen: einem helleren auf konvexen Oberflächen und einem dunkleren auf konkaven.(3) Der symbolische Wert der Farbe Blau im Zusammenhang mit Himmel, Göttlichkeit und ewigem Leben spiegelt sich in der Architektur, hauptsächlich in der sakralen, unmittelbar wider.

Kostbare Farbpigmente

Die Verfügbarkeit und der Preis von Farbpigmenten sind weitere Faktoren, die auf die Verwendung der Farbe in der Architektur einen Einfluss hatten. Blau gehört nicht zu den Farben der Erde und kommt in der Natur nicht oft vor, daher war es nur schwer und zu einem hohen Preis zu beschaffen. Beispiele sind Mayablau und Ägyptischblau, die sich beide durch Widerstandsfähigkeit und einen schönen Farbton auszeichneten. Mayablau, ein Pigment mit hellblauem, bläulichem und grünlichem Farbton auf Grundlage von Indigo und dem Mineral ­Palygorskit, wurde von den mittelamerikanischen Maya hergestellt. Die beiden Stoffe wurden mit Copal, einem halbfossilen, natürlichen Harz, das in Zeremonien ähnlich wie Weihrauch verwendet wurde, durch Erhitzen gebunden. Dieses Pigment war – in Kombination mit Rot – auf Tempelwänden, in Wandmalereien, auf Keramiken und in der Körperbemalung für reli­giöse Zeremonien und Menschenopfer weit verbreitet. Ägyptischblau (Calcium-Kupfer-Silikat) ist eines der ältesten künstlich hergestellten Pigmente und wurde im alten Ägypten und im Römischen Reich unter dem Namen Caeruleum verwendet. Im Mittelalter ging die Formel für diesen Farbstoff verloren. So wurden Azurit und das teure Ultramarin die einzigen Quellen für die Farbe. Natürliches Ultramarin, das aus Lapislazuli gewonnen wird, gilt als der teuerste Farbstoff der Geschichte. In der Renaissance war dieser sogar noch teurer als Gold – synthetisches Ultramarin wurde erst 1828 gewonnen. Preussischblau (Ferriferrocyanid), auch Berliner Blau genannt, der erste synthetisch hergestellte blaue Farbstoff, entstand erstmals 1704 als Nebenprodukt bei der Herstellung eines Unsterblichkeitstranks des deutschen Alchemisten Johann Konrad Dippel. Die Kosten und die schwierige Herstellung blauer Pigmente machten Blau zur königlichen Farbe, die für Auserwählte reserviert war. 

Blaue Architekturtraditionen

Trotz der seltenen Verwendung in der Architektur (4) gibt es einige Orte auf der Welt, wo Blau populärer war und sich einzigartige Verwendungszwecke entwickelten. Einer dieser Orte ist Jodhpur in Indien, die «Blaue Stadt». Traditionell kennzeichnete die Farbe Blau die Zugehörigkeit der Bewohner zur Kaste der Brahmanen, die als die reinste Kaste Indiens galt und ihre Häuser blau strich, um sich von der Gesellschaft abzuheben. Der Brauch stammt aus dem 16. Jahrhundert und sollte dem Maharadscha erlauben, die Häuser der Brahmanen von ­seinem über der Stadt liegenden Fort aus zu erkennen. Ungeachtet der erheblichen Auf­weichung des Kastensystems hat dieser Brauch bis heute überdauert, ist jedoch nicht mehr auf die Brahmanen beschränkt. Ein Netz aus blauen Gebäuden durchzieht die ganze Stadt, was für eine einzigartige Atmosphäre sorgt. Eine weitere Tradition hinsichtlich der ­Verwendung von Blau findet sich bei den Puebloindianern aus New Mexico, welche die ­Enden von Stützbalken, Fenster- und Türrahmen mit einem Farbton streichen, der Taos-Blau genannt wird. Der Name bezieht sich auf die Bezeichnung für das Volk und seinen Hauptwohnort, Taos Pueblo, die vermutlich älteste konstant bewohnte Siedlung der USA. Auch in Polen wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Blau in allen Schattierungen von Cyan bis zu Marineblau häufig für den Anstrich von Wänden, lehmgefüllten Lücken zwischen Balken sowie Streifen um Fenster und Türen herum verwendet. Diese Farbe wurde aus dem weitverbreiteten natürlichen Mineral Vivianit, auch Blaueisenerde oder Ockerblau genannt, gewonnen, aus Kupferverbindungen oder seltener auch aus Ultramarin, das mit Kalk gemischt als Grundierung benutzt wurde.(5) Neben den dekorativen und symbolischen hatte die Farbe Blau auch nützliche Funktionen, zum Beispiel als Insektenschutz.(6) Mit der Umstellung beim Baumaterial von Holz auf Mauerwerk wurde diese Tradition aufgegeben.

Zeitgenössische Architektur

Derzeit weicht die symbolische Funktion der Farbe Blau der Funktionalität und dem dekorativen Wert. Blau ist in der Architektur nun dank Glasfassaden, die oft die Farbe des Himmels und des Wassers widerspiegeln, häufiger vertreten. Im Falle hoher Gebäude, die vor dem Hintergrund des Himmels sichtbar sind, kann Hellblau zur Tarnung verwendet werden. Blaues Licht von LED wird für die Nachtbeleuchtung von Gebäuden und für Medienfassaden verwendet, als eine der Grund-Lichtfarben in RGB-LED. Als Kennfarbe dient es der Corporate Identity der Gebäude von Unternehmen. Obwohl vollständig blau gestrichene ­Gebäude nicht sehr populär sind, gehören blauer Verputz und blaue Farben in allen Ver­kaufsrang­listen zu den meistverkauften Tönen. Ihre Verwendung in der Architektur, vor allem in Form monochromer Bauwerke im Stadtgefüge, erzeugt normalerweise einen starken visuellen Kontrast zur Umgebung. Dennoch finden sich Beispiele auch in der zeit­genössischen Architektur, wie beim 2006 abgerissenen Beukelsblue-Gebäude. Dieses Bauwerk befand sich in einem heruntergekommenen Stadtteil von Rotterdam, der für eine Wieder­belebung und Neugestaltung vorgesehen ist. Vor seinem Abbruch liess der Rotterdamer Künstler Florentijn Hofman das Gebäude blau streichen. Der Bau bildete so ein riesiges, in das Raumgefüge integriertes plastisches Symbol. Das blaue Gebäude wurde zur Tou­risten­attraktion und erregte auch das Interesse der Einwohner. So hatten die Planer des Stadtteils die Möglichkeit, breiter für die Idee der zukünftigen Entwicklung zu werben.

Flüchtige Erscheinung

Als Farbe des Himmels und des Wassers gilt Blau in der Architektur als der am wenigsten greifbare und materielle Farbton. Auch heute noch ist Blau trotz der schwächeren symbolischen Bedeutung und grösseren Verfügbarkeit von Farbpigmenten in der Architektur keine sehr verbreitete Farbe. Seine visuelle Wirkung sowohl bei Glas- als auch bei Medienfassaden scheint seine Immaterialität und Beziehung zur spirituellen Symbolik noch zu unterstreichen.

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