Über das Tal hin­aus

Anna-Göldi-Mahnmal, Glarus

Seit Juni erinnert in Glarus ein diskretes Mahnmal an Anna Göldi, die «letzte Hexe Europas». Die Installation spannt den Bogen vom Regionalen ins Globale und möchte den Opfern von Justizmorden weltweit gedenken.

Publikationsdatum
11-12-2014
Revision
18-10-2015

Sie ist eine von vielen, aber das prominenteste Opfer der Schweizer Hexenprozesse: Als die Dienstmagd Anna Göldi am 13. Juni 1782 in Glarus den Tod durch das Schwert fand, war ihr Schicksal im aufgeklärten Europa bereits bekannt, das Urteil – «Tod wegen Vergifterei» – trotz Pressezensur international ein Skandal. 

Heute weiss man, dass die Anklage wohl von Anna Göldis Dienstherrn, dem Richter, Ratsherrn und Arzt Johann Jakob Tschudi, motiviert war.1 Göldi erwartete ein Kind von ihm. Um seine politische Karriere nicht zu gefährden – ein uneheliches Verhältnis hatte damals per Gesetz den Verlust aller Ämter zur Folge –, beschuldigte Tschudi Anna Göldi, seine Tochter ver­giftet und ihr Stecknadeln in die Milch gezaubert zu haben. Als die Tschudi-Tochter einen Monat nach Göldis Entlassung anfing, Stecknadeln zu spucken, wurde Anna Göldi zur Fahndung ausgeschrieben und verhaftet. Nach langen Verhören und Folter gestand sie nicht nur die Taten, sondern auch einen Pakt mit dem Teufel.

Obwohl die Anklage den Begriff Hexerei vermied, schlug der Prozess hohe Wellen. Deutsche Journalisten hatten den Fall aufgegriffen, die Zürcher Regierung hatte in Glarus interveniert – vergeblich. Wie oft bei Hexenprozessen handelte es sich bei der Beschuldigten um eine Frau niederen Standes und um eine nach damaligen Begriffen «fremdländische Person» – Göldi wurde 1734 im damals zürcherischen Sennwald geboren; der Glarner evangelische Rat, der sie zum Tode verurteilte, war gar nicht für sie zuständig. Trotz der dubiosen Umstände des Prozesses dauerte es 226 Jahre, bis das Glarner Parlament Anna Göldi im August 2008 rechtlich rehabilitierte, und weitere vier Jahre, bis ein Mahnmal an ihr Schicksal erinnerte. 

Gegen die Eventisierung

2013 hatte die Anna-Göldi-Stiftung einen Kunstwettbewerb für ein Mahnmal aus­geschrieben. Es sollte das Schicksal Göldis thematisieren, aber auch in die Gegenwart weisen und aus dem engen Glarnertal an Opfer willkürlicher Justiz welt­weit erinnern. Als Standort war zunächst der Galgenhügel vorgesehen, wo die Hinrichtung stattgefunden hatte und wo auch Göldis Leichnam verscharrt wurde. Heute heisst er «Sonnenhügel» und bildet den Parkplatz des Kantonsspitals – ein unpassender Ort für ein an­gemessenes Gedenken. Das findet nun am Glarner ­Gerichtsgebäude statt, dem Tatort, an dem aus dem Hexenprozess ein Justizmord wurde.

Das Basler Künstlerpaar Uri Urech und Regula Hurter konnte den Ideenwettbewerb im August 2013 für sich entscheiden. Sein Entwurf ist so einfach wie universell: Zwei runde beleuchtete Fenster im Dachgeschoss des Gerichtgebäudes übernehmen die symbolische Funktion des Erinnerns, eine neben dem Trottoir platzierte Tafel ergänzt die Installation, bietet die nötige Hintergrundinformation und den Kontext. Die beiden in der nordwestlichen Ecke des Baus angebrachten Lichter beleuchten den angrenzenden Park, durch die Platzierung übereck erreichen sie trotz der tiefen Laibung einen maximalen Sichtradius.

Regula Hurter, selbst Juristin, sagt, die Idee für das Mahnmal sei eine spontane gewesen, das Licht ein Symbol für Hoffnung, Trost, Liebe. Dass es hier aus dem Gerichtsgebäude strahle, verleihe ihm eine weitere Dimension und erhöhe die Aussagekraft des Mahnmals. Der Entscheid der Jury für die diskrete, doch berührende Inszenierung ist auch eine Entscheidung gegen die Kommerzialisierung und gegen die Vereinnahmung eines Schicksals als Touristenattraktion. 

Hexenprozesse erst teilweise aufgearbeitet

Zwar dauerte es über 200 Jahre, dennoch ist die «letzte Hexe» Europas die erste in der Schweiz, die rechtlich rehabilitiert und mit einer Gedenkstätte gewürdigt wurde. Der Anstoss dazu kam 2007 von Walter Hauser, dem späteren Präsidenten der im gleichen Jahr gegründeten Anna-Göldi-Stiftung, die auch das Mahnmal finanzierte. Nachdem der Glarner Regierungsrat und die evangelische Landeskirche dem Ansinnen zunächst ablehnend gegenüberstanden, begnadigten Politik und Kirche Anna Göldi im August 2008.

Hexenprozesse fanden auch in anderen Kantonen statt. Die Aufarbeitung dauert an – Catherine Repond, die «letzte Westschweizer Hexe», wurde vom Freiburger Regierungsrat 2009 moralisch rehabilitiert, in Basel steht die Auseinandersetzung mit dem Thema noch am Anfang. In Zürich bestehen Pläne für eine Gedenktafel.2 Sie soll an die vier Männer und 75 Frauen erinnern, die hier zwischen 1478 und 1701 der Hexerei angeklagt und verbrannt wurden. Der geplante Standort? Hinter der Wasserkirche – dort, von wo aus die Beschuldigten jeweils per Schiff in ihr Foltergefängnis im Wellenbergturm gebracht wurden. Und dort, wo der 1531 getötete Huldrych Zwingli bereits seit 1885 mit einem Denkmal geehrt wird.

Anmerkungen

  1. Walter Hauser, Der Justizmord an Anna Göldi. Neue Recherchen zum letzten Hexenprozess in Europa. Zürich 2007 
  2. «Denkmal für die Zürcher Opfer von Hexenverfolgungen», Tages-Anzeiger, 5.11.2013
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