Be­die­nung!

Unvorhergesehenes

Publikationsdatum
16-09-2016
Revision
23-11-2016

Wir leben in einer Zeit der masslosen Verunsicherung. Ich zum Beispiel bin regelmässig überfordert, wenn ich in einer Beiz nachbestellen möchte. Wie ruft man das Servicepersonal heute? Früher hiess es «Fräulein», aber Fräuleins gibt es zum Glück nicht mehr. Gute Kellner, die man nicht rufen muss, leider auch immer weniger. Und in den Bars, in denen man geduzt wird und den Barista cool mit Vornamen anspricht, weiss ich nie, wie der heisst.

Neulich, in einem Gasthof im Zürcher Oberland, war es wieder so weit. Der Wirt, ein betont entspannter Koloss mit Bart und Tattoos, schaute weg. Hilflos schweifte mein Blick durch den Raum, dessen Wände mit volkstümlichen Malereien verziert waren: Schellen, Rosen, Schilten, Eichel, Banner, Under, Ober, König und Ass, sorgfältig hingepinselte Jassmotive. Schön restauriert, wie das ganze historische Gebäude, nur das Buffet hätte man von der Wand rücken sollen, es verdeckte den Ober.

Den Ober? Die Erleuchtung! «Herr Ober», rief ich, und der verblüffte Koloss stapfte folgsam zu mir. Nach einigen Gläsern wusste ich: Wahre Kunst, auch Kunst am Bau, erkennt man daran, dass sie viele Interpretationen zulässt. Und dass sie uns Einsichten in den Lauf der Welt ermöglicht, dank denen wir den zähen Alltag besser bewältigen.

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