Bak­te­ri­en kit­ten Be­ton

Das Departement Material und Umwelt der TU Delft (NL) lancierte 2006 ein Forschungsprogramm für die Entwicklung von Werkstoffen mit eingebautem Selbstheilungsmechanismus. Diese Materialien sollen in der Lage sein, durch Alterung und Gebrauch entstandene Schäden selbst zu reparieren. Damit könnten die Unterhalts- und Reparaturkosten gesenkt werden und Bauwerke aller Art länger nutzbar bleiben. In seinem hier vorgestellten Forschungsprojekt setzt der Bauingenieur Henk M. ­Jonkers auf Bakterien, die Risse im Beton reparieren können.

Publikationsdatum
22-08-2013
Revision
30-10-2015

Die Dauerhaftigkeit von Stahlbeton kann während der Nutzung durch zwei hauptsächliche Schadenarten in Frage gestellt werden: Der eine Mechanismus verursacht strukturelle Schäden, die den Zusammenhalt der Verbundkonstruktion Stahl-Beton gefährden. Dabei werden meistens die Stahlbewehrungen geschwächt, entweder durch Korrosion oder durch mechanische Überbeanspruchung, was die Tragfähigkeit der gesamten Konstruktion reduziert. 

Die zweite Gruppe von Schäden an Stahlbeton wird hauptsächlich durch Alterungs- und Abbauprozesse des Zementsteins verursacht. Dazu gehört die Bildung von Mikrorissen, die zusammen mit anderen Schädigungsprozessen die Durchlässigkeit der Betonmatrix erhöhen. Die Bauteile werden undicht, und Schadstoffe wie Chlorid und CO2 können bis in Bewehrungstiefe eindringen. Im Bereich von Rissen sind die Bewehrungsstähle nicht mehr vor aggressiven Umgebungskomponenten geschützt – an diesen Schwachstellen wird die Bewehrungskorrosion initiiert und anschliessend beschleunigt ablaufen. Mikrorisse stellen deshalb die Dauerhaftigkeit des Verbundwerkstoffs Stahlbeton langfristig in Frage, wobei sich die Schädigungen weniger in unmittelbaren Festigkeitseinbussen als vielmehr in einer kontinuierlichen Abnahme der Nutzungsdauer auswirken. 

Beton ist selbstheilend

Das traditionelle Vorgehen zur Wiederherstellung der Tragfähigkeit oder zur Verlängerung der Nutzungsdauer schadhafter Betonkonstruktionen basiert auf der manuellen Instandsetzung geschwächter Betonbereiche. Als Alternative dazu untersucht die Baustoffforschung seit rund zwei Jahrzehnten Möglichkeiten für die Nutzung der selbstheilenden Eigenschaften von Beton oder, in einem weiteren Entwicklungsschritt, für den Einbau selbstheilender Systeme in Betonkonstruktionen. So wurde früh erkannt, dass die meisten Betonsorten Risse potenziell selbst abdichten können. lm Zementstein sind immer Reste von unhydratisiertem Zement eingelagert. Das in einen frisch gebildeten Riss eindringende Wasser kann deshalb unhydratisierte Zementpartikel an den Rissflanken aktivieren. Die im Riss entstehenden Hydratationsprodukte weisen ein grösseres Volumen auf und füllen den Riss aus, sodass er weniger wasserdurchlässig wird. Mikrorisse können dadurch auch ganz abgedichtet werden. Dieser Prozess der intrinsischen Betonheilung wird als «autogene» Heilung bezeichnet. Sie ergibt nicht in jedem Fall eine erhöhte Tragfähigkeit, verhindert aber Wasserverluste, beispielsweise aus Reservoirs und Speicherseen. 

Zahlreiche Forschungsansätze der vergangenen Jahre fokussierten auf die Verstärkung des Selbstheilungspotenzials von Beton durch den Einbau eines zusätzlichen Schutzmechanismus in den Baustoff. Unter anderen wurde als einfache Massnahme dazu die Erhöhung des Zementgehalts des Betons untersucht. Aus heutiger Sicht weist dieser Ansatz aber klare Nachteile auf, denn höhere Zementgehalte im Beton verschlechtern seine Nachhaltigkeitsbilanz – die Zementherstellung verursacht weltweit 5–8% der totalen anthropogenen atmosphärischen CO2-Emissionen. 

Bakterien produzieren Bio-Kalkstein

Ein an der TU Delft entwickelter, alternativer Selbstheilungsmechanismus für Beton könnte den Zementüberschuss als «Eingreifreserve» bei neu gebildeten Rissen ersetzen: Dem Beton werden stattdessen Bakterien zugemischt, die Biomineralien produzieren, wenn ein Riss entsteht. Diese Mineralien erhöhen die Dichte des Zementsteins ebenfalls und schliessen neu gebildete Risse im Beton rasch wieder. Nach diesem Prinzip wird ein neuartiger Betontyp entwickelt, der plötzlich eintretende Schäden auffangen kann. Dadurch soll der Bedarf an Unterhalt und Instandsetzung verringert und gleichzeitig die Nutzungsdauer verlängert werden. 

Am Ausgangspunkt der Entwicklung stand der Labornachweis, dass eine spezifische Gruppe Sporen bildender, alkalibeständiger Bakterien der Familie Bacillus grosse Mengen kalksteinartiger Mineralien produziert, wenn sie dem Beton zugegeben wird. Diese in der Natur vorkommenden Bakterien können im Milieu des Zementsteins leben.

Der Mechanismus der bakteriellen Rissheilung beruht auf der katalytischen Wirkung der Bakterien, die eine wasserlösliche Vorläuferverbindung (Kalziumlaktat) in passende feste Biomineralien umwandeln. Die neu gebildeten Stoffe, darunter ausgefällte Kalzium-
karbonatmineralien, wirken als Bio-Zementstein und dichten frisch gebildete Risse ab.

Reparaturkapseln im Beton

Für eine wirksame Selbstheilung müssen daher sowohl die Bakterien als auch die Vorläuferverbindung in die Betonmatrix integriert werden. Die einfache Zugabe dieser Stoffe in die Betonmischung würde aber wenig Sinn machen, denn sie müssten in unwirtschaftlich grossen Mengen eingesetzt werden, um das gesamte Betonvolumen permanent zu schützen. Effizienter ist es, das Schutzsystem im Beton punktuell konzentriert einzulagern und es erst beim Auftreten eines Risses unmittelbar in dessen Umgebung zu aktivieren. Deshalb haben die Forscher «Vorratskapseln», meist in Form von kleinen hohlen Blähtonkugeln, entwickelt. Darin werden die Bakterien und die Vorläuferverbindung gemeinsam gespeichert und in den Betonmischer zugegeben. Im erhärteten Beton sind die Vorratskapseln gleichmässig im Zementstein verteilt und chemisch inert (Bild). Erst wenn eine Kapsel durch einen frisch gebildeten Riss aufgebrochen wird, treten die Bakterien und die Vorläuferverbindung aus und dichten den Riss durch die Bildung von Kalkstein wieder ab (Bild). 

Erste Bewährung in der Praxis

Der beschriebene Abdichtungsprozess durch bakterielle Aktivität ist experimentell in unter Wasser aufbewahrten Betonproben nachgewiesen worden (Bild). In einem ersten Feldversuch ist das Konzept der bakterienbasierten Selbstheilung auch unter Praxisbedingungen erfolgreich getestet worden. Dabei wurden die Bakterien (in einer alkalischen Lösung suspendiert) und die Vorläuferverbindung nachträglich auf eine bestehende schadhafte Betonkonstruktion gesprüht, sodass keine Vorratskapseln im Beton erforderlich waren. Das Versuchsobjekt, ein kürzlich erstelltes, von einem Spritzbetondach gedecktes Bauwerk, wies gravierende Rissbildungen auf. Nach der Imprägnierung mit der bakteriellen Lösung waren die Risse dank des gebildeten Kalksteins vollständig abgedichtet, und das Dach war wieder wasserdicht. 

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