Aut­ar­ke Toi­let­te

Multifunktional und ökonomisch

Schweizer Forscher entwickeln eine komfortable Toilette für dicht besiedelte städtische Gebiete. Sie funktioniert ohne Anschluss an externe Infrastruktur und hat einen geschlossenen Wasserkreislauf.

Publikationsdatum
14-11-2014
Revision
18-10-2015

Im Jahr 2011 stellten Bill und Melinda Gates mit ihrer Stiftung Wissenschaftler weltweit vor eine Herausforderung. 236 Jahre nachdem Alexander Cummings sein Patent für das Wasserklosett angemeldet hatte, verlangten sie nichts Geringeres als die Neuerfindung der Toilette (Re-Invent the Toilet Challenge). Die Anforderungen der Ausschreibung waren ehrgeizig. Eine private oder öffentliche Toilette sollte es sein, gemacht für dicht besiedelte städtische Ge­biete – vor allem für informelle Siedlungen – mit hohem persönlichem Komfort, bei einem Preis von maximal 0.05 US-Dollar pro Person und Tag. Zudem wurde im Wesent­lichen eine «Null-Emission» verlangt. Im Klartext hiess das: Die Toilette soll ohne Anschluss an externe Infrastrukturen funktionieren, und die verwertbaren Ressourcen, auch Fäkalien und Urin, sollen möglichst in einen Wiederverwertungskreislauf gelangen. 

Ressourcentrennung

Die Eawag hatte 2011 bereits viel Forschung im Bereich von Sanitärsystemen und Technologien in Entwicklungsländern unternommen und beschloss, an dieser Herausforderung unter dem Projektnamen «Blue Diversion» teilzunehmen. Das Prinzip der Wertschöpfungskette wurde bereits 2008 im Kompendium der Sanitärsysteme und Technologien beschrieben. Das Projekt «Blue Diversion» lehnt sich an diese Vorgehensweise an, geht aber noch einen Schritt weiter, indem bereits im Designprozess auf die Benutzerfreundlichkeit geachtet wird. Das ist nicht selbstverständlich, denn über das Thema Toilettengang wird noch immer so gut wie nicht gesprochen, und Befragungen dazu sind eher selten. Der Ansatz stützt sich auf zwei Hauptprinzi­pien: Erstens werden Urin, Fäkalien und Wasser schon bei der Benutzung der Toilette getrennt. Das ermöglicht eine bessere Ressourcenrückgewinnung aus Urin und Fäkalien in semizentralen Verwertungsstationen. Die Trennung an der Quelle, also bei der Toilettenbenut­zung mithilfe eines Trenn-WCs, ist ressourceneffizient. So braucht es weniger Energie, aus konzentriertem, reinem Urin oder Fäkalien Ressourcen zu extrahieren, als aus einer verdünnten Mischung all dieser Stoffe vermischt mit Abspülwasser.

Urinseparierende Trockentoiletten (UDDT) werden von den Nutzern jedoch oft nicht gut akzeptiert, vor allem im städtischen Umfeld. Benutzer und Benutzerinnen ziehen Spültoiletten der trockenen Alternative vor. Auch aus hygienischer Sicht ist fehlendes Wasser problematisch. Das Händewaschen nach dem Toilettenbesuch ist für die persönliche Hygiene essenziell. Ausserdem braucht es auch für die urbane Hygiene eine sichere Entsorgung von ­verschmutztem Wasser, das auch bei wasserlosen Toiletten anfallen kann, zum Beispiel bei Bevölkerungsgruppen, die traditionell Wasser statt Toilettenpapier zur Reinigung verwenden. 

All diese Erkenntnisse flossen in das bisherige Design der «Blue Diversion»-Toilette ein. Der Entwurf sieht eine Toilette vor, die durch einen internen Wasser­kreislauf immer Wasser für die persönliche Hygiene zur Verfügung stellt. Während unverdünnter Urin und Fäkalien separat aufgefangen und später einer Nutzung zugeführt werden, gibt es einen dritten Strom für Wasch­wasser, das in der sogenannten Wasserwand aufbereitet und wiederverwendet wird. Das aufbereitete Wasser steht an drei Orten zur Verfügung: Am Lavabo kann man sich die Hände waschen, eine Brause übernimmt die Bidet-Funktion, und eine Spültaste löst die Spülung des vorderen Teils der Toilette aus. Geruch aus dem Fäkalienbehälter wird durch eine Ventilation beseitigt. 

Eine Toilette wie ein Möbelstück

Das Projekt wurde in einem interdisziplinären Team entwickelt, dessen Mitglieder aus den Fachgebieten Design, Abwasserentsorgung in Entwicklungsländern, Ingenieur-, Sozialwissenschaft und Betriebswirtschaft kommen. Am Projektbeginn standen drei Workshops, einer an der Eawag in Dübendorf und zwei in Kampala, Uganda, an der Makerere-Universität sowie in einer dicht besiedelten informellen Siedlung. Experten und potenzielle Benutzer konnten so ihren Input zum Designprozess geben. In dem Workshop in Kampala haben sich alle Teilnehmenden für eine Hocktoilette ausgesprochen. Eine Sitztoilette mit den Nachbarn zu teilen empfanden die Benutzer als unhygienisch. 

Um die Kosten niedrig zu halten, ist die Toilette für zehn Personen ausgelegt, was ungefähr zwei Familien im urbanen Afrika entspricht. Sie ist für die Massenproduktion durch lokale Betriebe konzipiert. Die blaue Schale ist aus dem gleichen Material und mittels derselben Produktionstechnik erstellt wie die lokalen Frischwassertanks bei jedem Haus. Die Toilette funktioniert wie ein Möbelstück. Sie lässt sich in existierenden Toilettenhäusern aufstellen, da keine Anschlüsse an Strom, Wasser oder an die meist sowieso nicht vorhandene Kanalisation erforderlich sind. So können die Benutzer die Toilette auch mieten, statt sie zu kaufen. Zweimal pro Woche wird der Fäkalienbehälter abgeholt und der Urin so abgepumpt, dass die Serviceperson nicht gefährdet ist. Dieser Teil der Toilette ist noch in Entwicklung.

Sauberes Wasser

In der hinteren Wand der Toilette wird das Wasser in einer Ultrafiltrationsmembraneinheit gereinigt. An­getrieben wird der Vorgang von der Schwerkraft. Die Eawag entwickelte diese Filtrationstechnik für die Produktion von Trinkwasser aus Flusswasser. Hygienisch sauberes Wasser wird so bei niedrigem Energie­ver­brauch und ohne Wartung produziert. Die meisten Pathogene werden zurückgehalten, und Kleinlebewesen, die aus dem für die Reinigung verwendeten Flusswasser stammen, verhindern die Verstopfung der Poren. So stehen bei einer Membrangrösse von 3m2 etwa 75l Wasser pro Tag zur Verfügung. Um aus ästhetischen Gründen die Verfärbung zu entfernen und eine Wiederverkeimung zu vermeiden, wird im Reinwassertank durch Elektrolyse eine geringe Menge Chlor hergestellt. Der Energieverbrauch ist niedrig: Pro Person und Tag benötigt die Toilette 30 Wh, die durch ein kleines Solarpaneel erzeugt werden. 

Energiegewinnung aus Fäkalien durch anaerobe Vergärung und Düngerproduktion aus Urin sind vielversprechende Technologien, die laufend verbessert werden. An der Eawag wird aus dem gesammelten Urin der Mitarbeiter und Besucherinnen des Instituts eine konzentrierte Nährstofflösung hergestellt.

Pilotprojekte in Ostafrika

Die «Blue Diversion» vereint Eigenschaften bekannter Toiletten, die in Entwicklungsländern verwendet werden. Im ersten Pilotversuch stiess sie in einer informellen Siedlung in Uganda auf positive Resonanz. Trotzdem identifizierten die Benutzer eine Reihe von kritischen Punkten. Dies führte zu Anpassungen beim zweiten Modell, das vor allem kompakter und benutzerfreundlicher wurde. Getestet wurde es in Mukuru, einer informellen Siedlung in Nairobi. Diesmal waren die Benutzer und Benutzerinnen zufriedener, klar wurde jedoch, dass die technische Entwicklung der Toilette bei Weitem nicht abgeschlossen ist.

Bestandteil des Projekts war auch ein auf Franchising basierendes Geschäftsmodell. Der Franchisegeber soll für Branding, Werbung, Montage und Installation der ­Toi­lette und für das Eintreiben der Gebühren sowie für die Beschaffung und Installation der semizentralen Aufbereitungstechnik verantwortlich sein. Er soll ausserdem Servicevereinbarungen an sanitäre Unternehmer, Vermieter, Mieter und Haushalte verkaufen und dafür sorgen, dass die Toiletten geleert werden, und die Aufbereitungsanlagen betreiben. 

Bis das Konzept kommerziell umgesetzt werden kann, ist es noch ein weiter Weg. Vor allem braucht es Investoren und Firmen, die Interesse haben und in der Lage sind, die Toiletten zu einem akzeptablen Preis zu produzieren. 

Anmerkungen

  1. www.bluediversiontoilet.com
  2. Die Toilette kann an der Architekturbiennale in Venedig bis am 23. November 2014 besichtigt werden. www.labiennale.org
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