Ar­chi­tek­tur und Be­ton – ei­ne in­ter­dis­zi­pli­nä­re Dis­kus­si­on

Beim ersten Architekturdialog diskutierten Thomas von Ballmoos, Michael Hanak und Tilo Richter die Eigenschaften und Ausdrucksmöglichkeiten des Baustoffs Beton.

Publikationsdatum
16-04-2018
Revision
16-04-2018

Seit 16 Jahren hat die Stiftung Architektur Dialoge das Ziel, den interdisziplinären Dialog zu fördern. Im Rahmen der Diskussionsreihe «Architektur und …» tritt jährlich ein spezifischer Gegenstand ins Rampenlicht. An der rege besuchten ersten Veranstaltung in der Druckereihalle im Basler Ackermannshof erörterten der Architekt Thomas von Ballmoos und der Architekturhistoriker Michael Hanak zusammen mit Tilo Richter das Potenzial und die Entwicklung des Baustoffs Beton.

No ideas but in things

Thomas von Ballmoos stellte drei Positionen seines Büros im Umgang mit dem Baustoff vor: Durch vorgefertigte Sandwichelemente, die Hülle und Tragwerk vereinen, entsteht eine «gefügte Homogenität»; bei einer aussenliegenden Konstruktion wird das Bild der Architektur direkt durch die Struktur bestimmt; die Trennung von vorfabrizierter Hülle und Ortbetontragwerk ermöglicht das «tektonische Ornament». Die Siedlungen Stöckenacker (2002) und Triemli (2011) manifestieren die erste Position: Durch den Wechsel von Platte und Öffnung und durch das Spiel mit der Tiefe entstehen plastische Plattenbauten.

Beim Werkgebäude EW Buchs (2004) bestimmt die Struktur den Ausdruck: Das gänzlich vorfabrizierte Gebäude referenziert in seiner Art der Fügung und Knotenbildung u. a. Bauten Angelo Mangiarottis. Im Gegensatz zu diesen Bauten entsteht beim Wohn- und Pflegezentrum Blumenrain (2016) durch die aussenliegenden Stützen ein einheitliches Bild von Architektur und Struktur. Die Schule in Obermeilen (2007) gehört schliesslich zur dritten Position: die innenliegende Ortbetonkonstruktion bildet das Pendant zur tektonisch komponierten Fassade mit offenen Fugen.

Bedeutung, Stilbildung, Erhaltung

Michael Hanak legte die Geschichte des Betons von der Antike bis in die Gegenwart dar. Der prägendste Entwicklungsschritt sei ab 1861 mit der Erfindung des Stahlbetons erfolgt. Der effiziente Baustoff gilt als grundsätzliche Voraussetzung für die Architektur der Moderne. Eine Entwicklung vom ingenieurmässigem zum architektonischen Ausdruck folgt: vom Hennebique-System, das in der Schweiz seit 1895 zur Anwendung kam und sich in der Deutschschweiz als erster ausgefachter Stahlbeton-Skelettbau in der Bally-Fabrik (1909) manifestierte, hin zum Neuen Bauen.

Eine eigene architektonische Sprache und Ästhetik habe sich jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet, als Beton zum Hauptbaustoff und Leitthema der Nachkriegsmoderne wurde. Beispielhaft für diese steht die St.-Klemenz-Kirche (1969) von Walter Maria Förderer in Bettlach: Die begehbare Plastik ermöglicht ein emotionales Erfassen und Erleben im Sinn von Förderers Vision von «Gebilden von hoher Zwecklosigkeit». Heute werden Förderers Bauwerke als «Brutalismus» rezipiert. Doch wie ist mit bedeutsamen Bauten dieses Stils umzugehen? Die St.-Antonius-Kirche (1927) von Karl Moser ist die erste Betonkirche der Schweiz und wurde als erste Sichtbetonfassade denkmalpflegegerecht instandgesetzt (1987–1991): Durch das Verfahren der Reprofilierung konnte das ursprüngliche Fugenbild erhalten werden.

Wechselspiel von Oberfläche und Tragwerk

Der anschliessende Dialog thematisierte die Qualitäten sowie die Zukunft des Baustoffs. Die Auseinandersetzung mit der Fassadenoberfläche (béton brut) und der Bauweise spiele bei der Instandsetzung von Betonbauten eine bedeutende Rolle: Die Oberflächenstruktur bilde den Charakter, und das tektonische Ornament könne, wie beim griechischen Tempel, eine Erklärung der Konstruktion vermitteln. Die schlechte Ausführung vieler Plattenbauten sei Grund für den oftmals negativ konnotierten Ruf des Baustoffs.

In der Schweiz sei das Image dank den «Göhner-Bauten» mit ihren guten Aussen- und Gemeinschaftsräumen nie negativ gewesen. Die Robustheit des Materials überzeuge bei heutigen Planungen weiterhin. In Bezug auf das nachhaltige Bauen fehlt es laut von Ballmoos einerseits an Innovationen, andererseits sei das Material laut Hanak prädestiniert, immer wieder neu gedacht zu werden. Die grundlegenden Erörterungen des Abends machen neugierig auf die Schwerpunkte der beiden folgenden Veranstaltungen.

Die nächste Veranstaltung findet am Dienstag, 17.4. statt, eine weitere am 24. April.

Weitere Artikel zum Thema Beton finden Sie in unserem E-Dossier «Beton».

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