2000-Watt-taug­li­che Schul­häu­ser

Mehr als die Hälfte der 120 Schulhäuser der Stadt Zürich figuriert im Inventar schutzwürdiger Bauten. Bei Instandsetzungen sind daher neben energetischen, funktionalen und wirtschaftlichen auch baukulturelle Ansprüche auch zu berücksichtigen. Die Stadtverwaltung untersuchte, ob und unter welchen Bedingungen sich die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft trotzdem erreichen lassen.

Publikationsdatum
02-03-2012
Revision
23-02-2016

Die 120 Schulanlagen der Stadt Zürich sind ein bedeutendes baukulturelles Erbe: Die meisten entstanden aufgrund von Architekturwettbewerben und sind wichtige Identitätsträger in den Quartieren der Stadt. Kann es gelingen, dieses grosse Portfolio ohne Preisgabe baukultureller Werte energetisch so zu ertüchtigen, dass die Etappenziele der 2000-Watt-Gesellschaft bis 2050 erreicht werden? Gelingt das auch unter Berück-
sichtigung moderner funktionaler Anforderungen und wirtschaftlicher Grenzen? Was sind die erforderlichen Voraussetzungen  Ein interdisziplinäres Team der Zürcher Stadtver-
waltung (Hochbau, Denkmalpflege, Bewirtschaftung und Schule) untersuchte diese Fragen in Kooperation mit externen Expertinnen und Experten. Anhand von elf Schul-
häusern aus unterschiedlichen Bauperioden diskutierten die Fachleute über bauliche Anforderungen und denkmalpflegerische Spielräume. Verschiedene Eingriffsszenarien wurden bewertet und in ihrer Wirkung auf das gesamte Portfolio hochgerechnet. Dieses Vorgehen bot die Möglichkeit, sich von starren, konfliktbeladenen Positionen zu lösen und objektübergreifend neue Handlungsspielräume zu entdecken. Gleichzeitig machte es die unterschiedlichen Werthaltungen verständlich und half, unterschiedliche öffentliche Interessen abzugleichen. So können langfristige und nachhaltige Strategien definiert werden. 

Eingriffsvarianten verglichen

Je nach baukulturellem Wert, Konstruktionsweise, funktionaler Eignung und Erhaltungs-
zustand einer Schule sind in einer umfassenden Nachhaltigkeitsbetrachtung unter-
schiedliche Eingriffstiefen möglich. Für die Untersuchung wurden drei verschiedene Varianten verglichen:

Variante 1
Minimale Eingriffe in die gestalterisch relevanten Elemente. Dämmung von Dächern und Kellerdecken, Fensterersatz mit 2fach- Verglasung und teilweiser Ersatz der Wärme-
erzeugung (z.B. durch Holzpellets).

Variante 2
Umfassendere energetische Sanierung mit Dämmung der Fassaden von aussen oder innen, Dämmung von Dächern und Kellerdecken, Fensterersatz mit 3fach-Verglasung. Diese Variante erlaubt einen Wechsel zu Niedertemperaturheizungen mit erneuerbaren Energieträgern und ermöglicht Einsparungen beim Heizwärmebedarf bis zu 80%. Zusätzlich wird das Potenzial zur Erzeugung von Solarstrom aufgezeigt. 

Variante Konsens
Diese Variante ist die Essenz aus intensiven, interdisziplinären Diskussionen, in denen ein Konsens zwischen den minimalen Eingriffen wie in Variante 1 und der umfassenden Erneuerung wie in Variante 2 gesucht wurde. Aufgrund der gemeinsamen Analyse der elf Beispiele konnte für jede Schule ein individuelles Massnahmenpaket definiert werden, das denkmalpflegerische, schulische und bauliche Aspekte kombiniert. In der Summe ergab sich ein repräsentativer Mix von Massnahmen, denn die elf typischen Beispiele lassen sich auf den gesamten Bestand hochrechnen.
Die Methodik zur energetischen Beurteilung stützte sich auf den SIA-Effizienzpfad Energie; erfasst wurden die Primärenergie, der Anteil der nicht erneuerbaren Energie und die Emission von Treibhausgasen für die Bereiche Heizung und Warmwasser, Licht und Apparate, Lüftung, Erstellung und Mobilität.  

Ziele knapp erreichbar

Mit einem durchschnittlichen jährlichen Heizwärmebedarf von 530 MJ/m2 sind die Zürcher Schulbauten gegenwärtig noch weit entfernt von zeitgemässen energetischen Anforde-
rungen. Die einseitige Ausrichtung auf fossile Energieträger führt zu hohen Treibhausgasemissionen, die zu 90% auf die Wärmeerzeugung zurückgehen. Durch differenzierte Massnahmen im Sinn der Variante Konsens kann der Heizwärmebedarf der untersuchten Schulhäuser markant gesenkt werden. Bei den Treibhausgasemissionen ist eine Reduktion um den Faktor 4 bis 8 realisierbar. Von Bedeutung ist hier die gezielte Wahl erneuerbarer Energieträger. Ist der Wärmebedarf einmal reduziert, rücken der Elektrizitätsverbrauch, die graue Energie für Baustoffe sowie der Mobilitätsaufwand ins Blickfeld.
Die Bewertung der drei Eingriffsvarianten zeigt, dass das Schulhaus-Portfolio der Stadt Zürich die Etappenziele 2050 der 2000-Watt-Gesellschaft erreichen kann – knapp wird es bei den ambitiösen Zielwerten für die Treibhausgase. Die erforderlichen Massnahmen sind jedoch recht weitgehend, und ihre Umsetzung stellt erhebliche architektonische wie auch finanzielle Herausforderungen. Die Ziele lassen sich nur erreichen, wenn zumindest ein Teil der Schulhäuser durch Aussen- oder Innendämmung und 3fach verglaste Fenster wirksam erneuert und das gesamte Portfolio auf erneuerbare Energiequellen umgestellt werden kann.
Untersucht wurden auch weitere Einflussgrössen – zum Beispiel der Beitrag von Ersatzneubauten anstelle von Instandsetzungen. Dabei wurde deutlich, dass in der Gesamtbetrachtung unter Einbezug der aufzuwendenden grauen Energie der Ersatzneubau zum Erreichen der Reduktionsziele sehr wenig beiträgt. Die erfolgreiche Umsetzung der gefundenen Strategie hängt nun davon ab, dass alle künftigen Instandsetzungs- und Neubauprojekte im Hinblick auf ihren Beitrag zur Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien im Sinn der Variante Konsens geplant und ausgeführt werden. Zur Umsetzung motiviert die gemeinsam getragene Konsenslösung. Zugleich wird ein Controlling der Erreichung des langfristigen Absenkpfades bei den realisierten Gebäuden aufgebaut. Der klare Wille der politisch Verantwortlichen, die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft ernsthaft umzusetzen, ist eine zentrale Voraussetzung des Gelingens.
Bauliche Massnahmen allein genügen jedoch nicht, um den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft gerecht zu werden. Eine Stabilisierung des Flächenbedarfs und ein entsprechendes Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer sind ebenfalls erforderlich. Drei wichtige Voraussetzungen müssen gelten, damit die Resultate dieser Studie Gültigkeit besitzen: Erstens darf der Flächenbedarf pro Schülerin oder Schüler nicht weiter anwachsen. Dieser hat sich aufgrund grösserer Schulräume, kleinerer Klassen und neuer Aufgaben der Schulen (u.a. Betreuung) seit 1960 verdreifacht. Zweitens wird vorausgesetzt, dass der Elektrizitätsbedarf für Licht und Geräte konstant bleibt. Und schliesslich wurde angenommen, dass gemäss einem Instandsetzungszyklus von 30 Jahren jede Schule bis 2050 einmal instand gesetzt wird, sodass die vereinbarten Massnahmen im gesetzten Zeitrahmen umgesetzt werden können. 

Bildlegende PDF-Dokument: 
Schemaschnitte dreier Schulhäuser als Beispiele für die ergriffenen Massnahmen: Während beim denkmalpflegerisch bedeutenden und intakt aus den 1940er-Jahre erhaltenen Schulhaus Kornhausbrücke (Mitte) bei der Variante Konsens selbst die Originalfenster erhalten werden sollen, können beim ebenfalls inventarisierten Schulhaus Münchhalde (links) und beim Schulhaus Sihlweid (rechts) mit deutlich weitergehenden Massnahmen die Reduktionsziele sogar unterschritten werden (Bild: Autoren) 

Literatur
Schlussbericht «Schulen auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft»

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