1 : 1-Mo­dell auf Zeit

Ludwig Mies van der Rohes 1930 entworfenes und nie realisiertes Golfklubhaus im nordrhein-westfälischen Krefeld wurde diesen Sommer als begehbares Modell nachgebaut. Bis zum 27. Oktober lässt sich der Bau besichtigen. Zurückhaltend materialisiert macht er die Essenz von Mies’ Gedankengut erlebbar.

Publikationsdatum
20-09-2013
Revision
30-10-2015

1930 gründete eine Gruppe um die Unternehmer Hermann Lange und Rudolf Oetker in Krefeld einen Golfklub. Ein Grundstück auf dem Egelsberg am nördlichen Stadtrand existierte – was fehlte, war ein Klubhaus. Die Initianten luden dafür zwei Architekten ihres Vertrauens ein: Oetker entschied sich für den Krefelder August Biebricher, Lange für den damaligen Direktor des Bauhauses, Ludwig Mies van der Rohe. Beide Bauherren hatten mit «ihren» Architekten bereits je ein Wohnhaus realisiert. 

Mies entwarf einen kreuzförmigen, weit in die Landschaft greifenden eingeschossigen Bau auf der Bergkuppe. Formensprache und Konstruktion – Stahlskelett, raumhohe Fenster, Flachdach – entsprachen jenen der zeitgleich entstandenen Villa Tugendhat im tschechischen Brünn und des Pavillons für die Weltausstellung in Barcelona. Mies arbeitete die Planung bis zum Massstab 1:200 aus. Dann kam die Weltwirtschaftskrise, und der Wettbewerb wurde nie entschieden. Das mit 150.000 Reichsmark (heute 1.2 Mio. Franken) veranschlagte Projekt verschwand erst in der Schublade, dann im Mies-van-der-Rohe-Archiv im Museum of Modern Art in New York. 

Kunst oder Kulisse 

80 Jahre später gründete die Kunsthistorikerin und Urenkelin eines der Bauherren, Christiane Lange, den Verein «Mies van der Rohe in Krefeld». Das Ziel: die Tätigkeit des Architekten in der für Seiden- und Textilindustrie bekannten Stadt neu zu beleuchten. Von 1927 bis 1938 plante und realisierte Mies van der Rohe hier neun Gebäude. Es entstand die Idee, sein Wirken statt mit einer konventionellen Ausstellung über ein einziges Exponat in Original-grösse zu vermitteln. Insbesondere die für den Architekten wichtige Verbindung von Natur und Architektur sollte exemplarisch am nie gebauten Klubhaus gezeigt werden.

Der Verein beauftragte das belgische Architekturbüro Robbrecht en Daem architecten mit der künstlerischen Leitung. Anhand der Originalpläne konzipierte es ein begehbares 1:1-Modell des Klubhauses. Anders als bei der Rekonstruktion des Barcelona-Pavillons (1983–86) zollten die Verfasser der ephemeren Natur und der teils unsicheren Plangrundlagen des Projekts Tribut: Aussagen zur Materialität des Baus fehlen, lediglich die Proportionen der Konstruktion sind nachgebaut. Decken und Wände der Stahlkonstruktion bestehen aus weiss geschlämmten Sperrholzplatten, statt grossflächiger Verglasungen markieren Rahmen die Position der Öffnungen. Der Boden besteht aus 1x1m grossen Betonplatten. Wo die Pläne nicht eindeutig waren, beliessen es die Architekten bei Andeutungen: Waren keine Brüstungshöhen angegeben, verzichteten sie darauf; Nebenräume sind am Boden über den Kiesbelag skizzenhaft erkennbar. Lediglich die bekannten kreuzförmigen verchromten Stützen wurden verwendet – was zwar sofort die Urheberschaft erkennbar macht, dem Klubhaus aber auch etwas von seinem zwitterhaften Charakter im Spannungsfeld zwischen Bauwerk und Kunstobjekt nimmt. So entstand eine gebaute Idee, entkleidet von den Erfordernissen der täglichen Nutzung, die das von Mies angestrebte Raumgefühl unverfälscht und nahezu kompromisslos erlebbar macht. 

Magazine

Verwandte Beiträge