«Ein Vor­teil des Co-Prä­si­di­ums ist, dass wir Kom­pro­mis­se fin­den müs­sen»

Alexa Bodammer und Paola di Romano treten gemeinsam in die Fussstapfen von Beatrice Aebi und präsidieren neu das «Netzwerk Frau und SIA». Im Gespräch betonen sie, dass sie die Koordination und den Austausch zwischen den Regionalgruppen und mit dem SIA verstärken wollen.

Publikationsdatum
20-04-2022
Julia Jeanloz
Redaktorin in ­Verant­wortung für die SIA-Beiträge bei der Zeitschrift Tracés


SIA: Wer sind Sie?

Alexa Bodammer: Ich bin Architektin und Raumplanerinund ergänze die Profession um einen sozialwissenschaftlichen Abschluss. Schwerpunkte von mir sind Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung, Baukultur, Sozialraum und Partizipation, die ich an der Hochschule Luzern HSLU als Dozentin und in der Forschung sowie Beratung vertrete. Seit 2013 bin ich im «Netzwerk Frau und SIA» in der Regional­gruppe Zürich aktiv und seit 2020 Mitglied im nationalen Vorstand. Seit Beginn des Jahres folgen Paola und ich Beatrice Aebi als Co-Präsidentinnen. Wir bilden nun ein Co-Präsidium, das fliessend Deutsch, Französisch und Italienisch spricht.

Paola di Romano: Ich bin Architektin. Als gebürtige Tes­si­nerin habe ich mein Hochschulstudium am Polytechnikum Mailand absolviert, bevor ich an der EPFL das Nachdiplomstudium Bauökonomie abschloss. 2007 habe ich mein eigenes Büro in Genf er­öffnet: PdR architects. Parallel dazu bin ich bei der Fédération des associations d’architectes et d’ingénieurs de Genève (FAI) als Dozentin für Bauzeichnerinnen und -zeichner tätig. Für diesen Studiengang bin ich seit 2009 zudem Expertin und Mitglied im Prüfungsausschuss. Im Jahr 2015 bin ich der Regionalgruppe Genf des «Netzwerks Frau und SIA» bei­getreten und 2018 dem nationalen Vorstand. Und seit 2020 amtiere ich als Gemeinderätin in der Gemeinde Collonge-Bellerive GE.


Was sind die Vorteile eines Co-Präsidiums, das verschiedene Sprachregionen repräsentiert?

di Romano: Teil des Vorstands zu sein, erfordert Überlegungen zur Entwicklung einer Berufs- und Sozialpolitik zwischen Verband und Berufswelt. Ein Alter  Ego wie Alexa in Zürich zu haben, ist sehr bereichernd.

Bodammer: Auch wenn der SIA seine Geschäftsstelle in Zürich hat, was dem direkten Austausch dient: Weder Zürich noch die Deutschschweiz repräsentieren das Netzwerk in seiner Gesamtheit und Vielfalt der Projekte unserer Mitglieder in den Regionen. Ein Vorteil des Co-Präsidiums besteht darin, dass wir Konsens schaffen oder Kompromisse finden müssen. Sprachen, Erfahrungen und Rahmenbedingungen unterscheiden sich je nach Region – das muss berücksichtigt werden. Der nationale Vorstand und die Regionalgruppen profitieren von der grösseren Verfügbarkeit durch die Aufteilung des Mandats. Zudem benötigt unser Co-Präsidium keine übermässige Koordination, da die Ressourcen aufgeteilt sind und der Austausch mit Paola reibungslos und vertrauensvoll verläuft.
Und wenn wir uns unsicher sind, welche Richtung wir einschlagen sollen, dann besprechen wir das. Den Entscheid treffen wir dann so fundiert, bewusst und passend wie nur möglich.


Welche grossen Projekte hat Ihnen Beatrice Aebi übergeben?

Bodammer: Die Plattform SIA NOW! Network of Women, die im Sommer lanciert wird. Es handelt sich um ein Projekt der Regionalgruppen Waadt und Zürich, das die Repräsentation von Frauen in den immer noch weitgehenden Männerdomänen stärken will. Die Plattform hilft, die Kompetenzen unserer Mit­glieder hervorzuheben und sie zu fördern.

di Romano: Darüber hinaus hat Beatrice vor fast zehn Jahren den Anstoss für die Formalisierung unserer Struktur gegeben. Wir haben gerade unsere Reglemente aktualisiert.


Und worauf legen Sie den Schwerpunkt?

Bodammer: Den Bekanntheitsgrad der Regionalgruppen zu steigern. Das ist wesentlich für die Belebung und Erweiterung des Netzwerks. Darüber hinaus werden die Koordination und der Austausch zwischen West- und Zentralschweiz sowie dem Tessin gefördert, damit Projekte weitergegeben und gemeinsame Massnahmen getroffen werden. Zum Beispiel soll das Jugendbuch «Die findige Fanny» (2015) den weiblichen Nachwuchs in technischen Berufen und im Bauwesen fördern. Ursprünglich war es ein Projekt der Regionalgruppe Waadt, die Genferinnen und Genfer setzen es für die Bildung in der Primarstufe ein.
Mit Unterstützung des SIA und der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissen­schaften (SATW) wurde das Buch ins Deutsche und Italienische übersetzt.

di Romano: Bei unserer letzten Generalversammlung waren 400 Mitglieder anwesend – unsere Mitgliederzahlen steigen. Es gibt aber nur sechs Regionalgruppen: Genf, Waadt, Bern, Basel, Zürich und das Tessin. Das Anknüpfen an Berufsfrauen-Verbände auf internationaler Ebene eröffnet neue Lösungen für gemeinsame sozialpolitische Herausforderungen und die Erschliessung neuer Wirtschaftsmärkte. Die Mitglieder anderer Berufs­frauen-Netzwerke, mit denen wir in Belgien, Grossbritannien und Deutschland in Verbindung stehen, verfügen ebenfalls über Branchenkontakte in der Schweiz, die wir in unsere Regionalgruppen aufnehmen können. Wir möchten weiterhin die Leistungen für unsere Mitglieder ausbauen.

Bodammer: Insbesondere besteht der Wunsch, dass die regionale Presse über die Veranstaltungen der Regionalgruppen berichtet. Vergangenes Jahr stellte die Zürcher Regionalgruppe aufgrund der Feier von 50 Jahren Frauenstimm- und -wahlrecht mit anderen Netzwerken anlässlich des Projekts «FrauMünsterhof21» in Zürich ein Social-Media-Projekt vor: 50 Porträts ihrer Mitglieder und deren Expertise. Teil dieses Projekts war auch ein physischer Networking-Anlass. Zudem war das Netzwerk mit Vertreterinnen von Berufsverbänden oder der akademischen Welt auf dem Podium zum Thema «Was geschieht, wenn Frauen die Schweiz gestalten?» vertreten. Ein voller Erfolg!


Was ist die wichtigste Herausforderung in den nächsten Jahren?

di Romano: Die Feminisierung unserer Berufe und die Vermarktung unserer Profile bei öffentlichen und privaten Akteuren. In Genf haben wir unsere Mitglieder dazu angehalten, Kurzbiografien zu erstellen, um zu sehen, wer in eine Expertinnendatenbank für Institutionen aufgenommen werden möchte, um somit beispielsweise die Anzahl der Frauen in den Wettbewerbs-Jurys zu erhöhen. Wir gaben die Informationen an den Kanton Waadt weiter. Zudem trugen wir das Thema dem nationalen Vorstand vor mit dem Wunsch, diese Thematik auszuweiten. Uns wurde signalisiert, dass dieses Projekt prioritär auf der Ebene Genf getestet werden sollte.

Bodammer: Wir setzen uns dafür ein, die Rolle der Frauen in den freien Berufen, der Wirtschaft und der akademischen Welt sichtbarer zu machen. Es geht vor allem um informelle Sensibilisierungsarbeit. Natürlich verfolgen wir die politische Agenda sehr aufmerksam und positionieren uns dazu.

di Romano: Einer der Pluspunkte vom «Netzwerk Frau und SIA» besteht darin, dass die Mitgliedschaft kostenlos ist. Manche Mitglieder arbeiten Teilzeit und können sich den Mitgliederbeitrag des SIA nicht leisten. Wenn sie bei uns sind, profitieren sie von den Begeg­nungen mit anderen Mitgliedern und von Informationen, die wir über den Newsletter weitergeben. Gleich­zeitig arbeiten wir daran, dass die Anzahl weiblicher Mitglieder des SIA steigt.

Bodammer: Zudem ist anzumerken, dass unsere Mit­glieder auch Frauen umfassen, die in anderen kreativen oder branchenbezogenen Berufen tätig sind  und daher nicht SIA-Mitglied werden können. Unser Netzwerk arbeitet auch interdisziplinär.


Was bringt die Zugehörigkeit zu einem Berufsfrauen-Verband?

Bodammer: Jüngere Mitglieder lernen von den Erfahrungen anderer, beispielsweise wie man sich vernetzt und Aufträge erfolgreich akquiriert. Tendenziell unterschätzen Frauen die Bedeutung informeller Netzwerke, weil ihnen schlicht die Zeit dazu fehlt oder sie sich auf ihre Leistungen verlassen. Zudem helfen wir weniger sichtbaren Gruppen, in den Fachkreisen besser vertreten zu sein.

di Romano: Netzwerkarbeit ist nicht einfach! Wir stellen fest, dass die Frauen in diesem Bereich weniger aktiv sind, sobald sie Familie haben. Ein berufliches Adressbuch anzulegen, funktioniert tatsächlich. Viele Dinge lassen sich gemeinsam schaffen. Beim Netzwerken habe ich andere Architektinnen und Architekten kennengelernt, von denen ich wusste, dass sie in Lausanne dozieren. Als ich erfahren habe, dass für die überbetrieblichen Kurse der FAI Leute gesucht wurden, habe ich natürlich zuerst an meine SIA-Kontakte gedacht.

Bodammer: Networking ist eine fortlaufende Übung, die nicht nur anstrengend, sondern vor allem gewinnbringend ist – selbst, bevor man etwas Greifbares erreicht hat.

Verwandte Beiträge